Buch-Tipp: Jigten Sumgön „Die eine Absicht“ (Gongchig)

Neu in der Edition Garchen Stiftung

„Die eine Absicht“
von Jigten Sumgön
Der Grundtext mit einem Kommentar
von Khenpo Kunpal und einem Überblick von Rinchen Jangchub

Aus dem Tibetischen von
Könchog Yeshe Metog (Claudia Jürgens)

Edition Garchen Stiftung, München 2022
348 Seiten, Broschur, 14,5 x 22 cm
ISBN 978-3-945457-37-5

24,90€
Erhältlich im Mandala Online-Shop

In diesem Jahr ist die lang erwartete neue Übersetzung zu Jigten Sumgöns Hauptwerk „Die eine Absicht“ in der Edition Garchen Stiftung erschienen. Es gibt nun drei Ausgaben mit verschiedenen Kommentaren zum „Gongchig“, wie der tibetische Titel lautet, die in Deutsch und Englisch vorliegen und verschiedene Schwerpunkte setzen.

Lange Zeit die einzige deutsche Ausgabe war die Übersetzung von Susanne Schmidt aus dem Otter Verlag. Diese Ausgabe umfasst den Quelltext der 150 Vajra-Aussagen, die ergänzenden Aussagen, den in Versform verfassten kürzeren Kommentar „Die Lampe, die die Dunkelheit beseitigt“ von Rigdzin Chökyi Dragpa sowie den tibetischen Originaltext.

2020 erschien die bislang umfangreichste Ausgabe des Gongchig, allerdings nur auf Englisch. Ihr Übersetzer und Herausgeber, Jan Ulrich Sobisch, hat die Vajra-Aussagen sowie einen bedeutend umfangreicheren anderen Kommentar von Rigdzin Chökyi Dragpa, durch zahlreiche wissenschaftliche Erläuterungen ergänzt. Diese Ausgabe ist für eine Vertiefung der Studien geeignet. Vielleicht gibt Sobisch ja irgendwann auch eine deutsche Fassung heraus.

Die neue Ausgabe aus der Edition Garchen Stiftung liegt von der Länge her etwa in der Mitte. Wer sich für die philosophischen Sichtweisen und ihre verschiedenen traditionellen Auslegungen näher interessiert, wird hier in reichem Maße fündig.

Ein wesentlicher Zug, der den Gongchig prägt, ist ja Jigten Sumgöns Bemühung, Differenzen zwischen den verschiedenen Fahrzeugen, den Drehungen des Rades oder zwischen entgegengesetzten traditionellen Auslegungen als scheinbare Widersprüche aufzuzeigen, die auf einem unangemessenen oder verkürzten Verständnis des Dharma beruhen. Die Lehre des Buddha bildet für ihn eine Einheit mit einer Intention. Diese einheitliche Intention will der Gongchig ans Licht zu bringen. Das macht ihn zu einer inspirierenden Übung im Lesen und Durchdenken des Dharma.

Was bietet diese Ausgabe nun und wie ist sie aufgebaut?

Die Übersetzung wurde Könchog Yeshe Metog (Claudia Jürgens) mit der Unterstützung der Erklärungen von Khenchen Nyima Gyaltsen erstellt. Im Unterschied zu den beiden anderen Ausgaben stammt der Hauptkommentar zu den Vajra-Aussagen nicht von Rigdzin Chökyi Dragpa (1595‑1659), sondern von Khenpo Kunpal (1872‑1943), einem Schüler von Patrul Rinpoche.

Für jemanden, der bisher nur die Otter-Ausgabe kannte, ist der Aufbau vielleicht etwas ungewohnt. Die Vajra-Aussagen stehen in der neuen Ausgabe nicht am Anfang. An den Anfang gestellt ist vielmehr der „Lichtschein der Juwele – Eine Kurzfassung des Überblicks zu Der wahre Dharma, die eine Absicht“ von Rinchen Jangchub (ca. 12./13. Jh.). danach folgen erst die 150 Vajra-Aussagen plus 40 ergänzende Vajra-Aussagen. Den mit ca. 200 Seiten umfangreichsten letzten Teil bildet der Kommentar von Khenpo Kunpal, der die 150 Hauptaussagen einzeln erläutert.

Abgerundet wird diese wertvolle neue Gongchig-Ausgabe durch eine Einführung und Kurzbiographien von Rinchen Jangchub sowie Khenpo Kunpal, die Khenchen Nyima Gyaltsen verfasst hat, und instruktive Bemerkungen von Könchog Yeshe Metog zu den Originaltexten und zur Übersetzung. Die tibetische Textgrundlage steht als PDF kostenlos zum Herunterladen zur Verfügung.

Ein kurzer Blick auf einige inhaltliche Aspekte.

Worin besteht die “eine Absicht”, die dem Werk den Titel gegeben hat?
Khenpo Tamphel hat es 2017 im Einführungsvortrag zu seinen Studienseminaren, die nun schon in ihr sechstes Jahr gehen, so gefasst:
“Damit ist gemeint, dass die Buddhas der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft die gleiche Intention haben, dass sie sich nicht widersprechen. Es heißt auch, dass sich das, was der Buddha am Anfang, in der Mitte und am Ende gelehrt hat, nicht widerspricht.”

Rinchen Jangchub fasst die eine Absicht in diese Worte:
“Demnach lehren alle Sieger der drei Zeiten den Dharma zwar in verschiedenen Sprachen, wie denen von Göttern und Menschen, und in detaillierten, kurzen oder sonstigen Darstellungen, dennoch behalten sie in ihren Unterweisungen die ungeborene, grundlegende Natur als zentrale Absicht bei. Da sie sich darin nicht unterscheiden, spricht man von Der einen Absicht.” (S.52)

Da man angesichts von 150 plus 40 einzelnen Vajra-Aussagen leicht den Überblick verlieren kann, fragt Rinchen Jangchub an späterer Stelle seiner “Kurzfassung des Überblicks”:
“Worin sind die Inhalte aller herausragenden Dharmas zusammengefasst?”
und antwortet:
“Es sind unter anderem die Aussagen:
[1.1] Die Buddhas zeigen die tatsächliche Seinsweise der grundlegenden Natur aller Phänomene.
[1.2] Alle 84000 Zusammenstellungen des Dharma bilden als Methode für das Erreichen der Buddhaschaft eine Einheit.
[1.29] Alle Fahrzeuge bestehen [letztendlich] in einem Potenzial und einem Fahrzeug.
[1.24] Die drei Gelübde stimmen als Gelübde, die das Unterlassen der zehn unheilsamen Handlungen beinhalten, im Kern überein. Insbesondere kann man generell den gesamten, wahren Dharma durch eine einzige Vajra-Aussage auf den Punkt bringen:
[1.1] Alle Buddhas zeigen die tatsächliche Seinsweise der grundlegenden Natur oder Anlage aller Phänomene.” (S.76)

Was ist der Gongchig selbst? – Ein System von Lehrmeinungen oder etwas anderes?
Auch bezüglich dieser Frage gab es schon vor Jahrhunderten gegensätzliche Positionen.
Die “Kurzfassung des Überblicks” zeigt, wie sich im Geiste des Gongchig dieser Widerspruch auflöst:

“2.1.2 Die Auflösung des Gegensatzes, ein beziehungsweise kein System von Lehrmeinungen zu sein
Handelt es sich bei diesem Werk um ein System von Lehrmeinungen oder nicht? Es ist plausibel, den Standpunkt einzunehmen, dass es ein System von Lehrmeinungen ist.
So heißt es in Die großen Drikung-Unterweisungen an die Versammlung:

‘Heilsames kann nicht in Unheilsames verwandelt werden und Unheilsames nicht in Heilsames, das ist die grundlegende Natur. Was ist darunter zu verstehen? Die grundlegende Natur ist Unwandelbarkeit. Beispielsweise ist nichts und niemand imstande, den Raum in etwas Dinghaftes zu verwandeln, und es ist unmöglich, die spezifischen Merkmale der vier Grundelemente zu verändern. Dies ist die große Lehrmeinung des kostbaren Jigten Sumgön.’

Und im Großen Überblick ist zu lesen:

‘Indem wir diesen Dharma als System von Lehrmeinungen bezeichnen, wird es für die nachfolgenden Schülerinnen und Schüler einfach sein, ihn zu bewahren.’ Und es heißt: ‘Da ich ihn selbst erfahren habe, bin ich von diesem [Dharma meines Herzens-Lamas] überzeugt.’ ‘Da ich ihm nachfolge, bewahre ich dieses System von Lehrmeinungen.’ Und [Drikung Lingpa] äußert [bei jeder Vajra-Aussage]: ‘Dies vertritt [Jigten Sumgön] solchermaßen.’ Zudem heißt es: ‘Diese [Vajra-Aussagen] sind als das große System von Lehrmeinungen bekannt.’ Von der Warte dieser und weiterer Zitate aus bedeutet es keinen Widerspruch, die [Eine Absicht] als System von Lehrmeinungen anzusehen.

Wenn man den Standpunkt einnimmt, dass sie kein System von Lehrmeinungen ist, [greift] dieses Zitat von Jigten Sumgön aus einer Lobpreisung an Phagmodrupa:

‘Lehrmeinungen sind Verstrickungen des Verstandes.
Bitte bewirke, dass diejenigen, die Lehrmeinungen mit
den Absichten des Buddha verwechseln,
die wahre Wirklichkeit erkennen mögen
und sich darauf auch ihre Einbildungen in sich selbst auflösen.’

Und in Die eine Absicht wird gesagt:

‘Alle, die an Lehrmeinungen festhalten, sind Dogmatiker.’

Sowie: ‘

Jede erdenkliche Lehrmeinung verschleiert die endgültige Wahrheit.’

Diesen Zitaten entsprechend sind Geistesstrom und Dharma nicht zusammengewachsen, falls der Geistesstrom im Gewöhnlichen verbleibt, während man gehobene Worte über den Dharma spricht. Führen wir beispielsweise alle Dharmas so wie ein königlicher Schatzmeister an, bedeutet es, dass wir die Dharmas nicht verinnerlicht haben, sondern sie stattdessen zu intellektuellen Konstrukten geworden sind. Da [Die eine Absicht] kein derartiges System von Lehrmeinungen ist, ergibt sich kein Widerspruch, gleich ob man den Standpunkt einnimmt, sie sei ein System von Lehrmeinungen, oder den, sie sei keines.” (S.42ff)

“Die eine Absicht” von Jigten Sumgon in der Edition Garchen Stiftung ist im Mandala Dharma-Shop vor Ort sowie über den Online-Shop erhältlich.
Weitere Artikel zum Gongchig sowie Informationen über das Studienseminar mit Khenpo Tamphel sind auf der Website “drikung-aachen.de” zu finden.