Kurze Erklärungen zu Vajrasattva und der entsprechenden Meditation

Vajrasattva (skr., tib. Dorje Sempa) ist die Samboghakaya-Form der Buddhaschaft, die die reinigende Kraft der Erleuchtung darstellt. Er gehört zur Vajra-Familie von Buddha Akshobhya (tib. Mikyöpa), der sich auf seinem Kopf befindet. Das 100-Silben-Mantra enthält die Keimsilben von 100 friedvollen und zornvollen Gottheiten.

Die Meditation von Vajrasattva (tib. Dorje Sempa) gehört zu den tiefgründigen Methoden des Vajrayana und wird angewendet, um negatives Karma, Krankheiten und Hindernisse zu beseitigen. Sie gilt als die wirkungsvollste Methode, die Verschleierungen des Geistes zu beseitigen, die die jedem innewohnende Buddha-Natur verdecken.

Durch die Reinigung von negativem Karma können wir uns von Hindernissen und falschen Vorstellungen befreien. Manchmal haben wir Schuldgefühle und empfinden eine Reinigungspraxis eher wie eine Strafe für unsere Handlungen in der Vergangenheit. So ist es hier aber nicht gemeint. Wenn wir verstehen, welche Folgen unsere Handlungen haben, sollen wir die negativen Handlungen zwar bereuen, aber wir können eben auch etwas tun, um uns zu reinigen. Die Praxis sollte daher keine quälende, schuldbelastete Prozedur sein, sondern wie ein erfrischendes Bad oder eine Dusche, wonach man erfrischt seinen Aktivitäten nachgeht. Ein Retreat ist dann wie eine intensive Kur oder ein Aktiv-Urlaub mit allem, was man braucht, um die alltäglichen Belastungen hinter sich zu lassen und aufzutanken. Die Konzentration auf das Meditationsobjekt führt zu geistiger Stabilität, die frei von Ablenkungen gehalten werden kann. So können wir einen klaren und stabilen Geist entwickeln, der immer weniger von störenden Emotionen beeinflusst wird.

Es ist also wichtig, sich die Übungen positiv zu gestalten und sie im Zusammenhang mit der Entwicklung der Stufen auf dem Pfad zur Erleuchtung zu sehen. Bevor wir Qualitäten entwickeln können, muss der Geist gereinigt werden wie ein Behälter, bevor wir ihn mit reinem Nektar füllen. Ergänzend zur Reinigung ist es natürlich auch wichtig, negative Handlungen aufzugeben und heilsame Handlungen zu entwickeln. Dazu können ggf. weitere Methoden angewendet werden, wie z.B. das Aufnehmen von Gelübden zur Entwicklung einer ethischen Lebensweise oder die Entwicklung von Liebe und Mitgefühl mit der Entwicklung des Erleuchtungsgeistes (skr. Bodhicitta). Die Verbindung zur Praxis der geistigen Ruhe (skr. Shamatha) und tiefen Einsicht (skr. Vipashyana) ist indirekt enthalten, indem wir uns auf ein Objekt konzentrieren und zum Schluss in der reinen Sichtweise verweilen.

Wie in jeder Vajrayana-Praxis, die mit Visualisierungen und Mantra-Rezitationen verbunden ist, geht es nicht darum, möglichst schnell eine große Anzahl von Mantras zu rezitieren, sondern durch die Ausrichtung des Geistes (Konzentration) auf die verschiedenen Aspekte klare Eindrücke im Geist entstehen zu lassen. Die Visualisierung und das Mantra haben eine sehr starke Kraft. Umgekehrt ist es aber auch nicht notwendig, sich besonders viel Zeit zu lassen, sondern zügig vorzugehen und dabei wach und aufmerksam zu sein. Die Rezitation des langen Mantra lässt uns viel Zeit, den Reinigungsprozess zu erfahren und immer weiter zu vertiefen.

In den vielen Jahren, seitdem es das Zentrum in Aachen gibt, wurden immer wieder Unterweisungen zur Vajrasattva-Praxis gegeben und einige davon transkribiert, die uns als Seminarunterlagen vorliegen oder als Broschüre in unserem Verlag herausgeben wurden. Je nachdem, wie viel Zeit zur Verfügung steht und worauf ein Lehrer die Betonung legt, sind die Unterweisungen eine Zusammenfassung oder eine ausführliche Erklärung eines Kommentar-Textes. Sie können zu einzelnen Punkten detaillierte Ausführungen aus anderen Kommentaren sowie allgemeine oder persönliche Ratschläge zur Praxis usw. enthalten. Daher ist es wichtig, immer wieder Unterweisungen zu hören, darüber nachzudenken und sie nach und nach in der persönlichen Praxis entsprechend anzuwenden. In begleitenden Seminaren werden die Stufen der Praxis mit den einzelnen Aspekten sowie die Rezitation des Mantra erklärt und ge meinsam geübt.

Es gibt verschiedene Texte zur Vajrasattva-Meditation. Zunächst beziehen wir uns auf einen grundlegenden Text, wie er auch in den vorbereitenden Übungen (tib. Ngöndro) verwendet wird. Die Texte und die allgemeinen Erklärungen bilden die Grundlage. Es ist gut, wenn man zur Vertiefung der Praxis nach und nach weitere Erklärungen sowie persönliche Anweisungen erhalten kann. Entsprechend kann man in Bezug auf die Praxis zuerst von einem kurzen Grundkommentar ausgehen, das Mantra auswendig lernen und mit der allgemeinen Visualisierung verbinden, bis man eine gewisse Klarheit und Stabilität erreicht hat. Dann kann man immer wieder einzelne Aspekte betonen und für einige Zeit hervorheben. Durch eine gute Kenntnis der Zusammenhänge von Ursachen und Wirkungen und entsprechender Texte kann man die Praxis weiter ausschmücken. Dazu kann man weitere Unterweisungen (z.B. über Karma, Samsara usw.) einbeziehen und entsprechende Kommentare studieren.

Sehr hilfreich ist es auch, sich an die Erklärungen zur Buddha-Natur zu erinnern, wie sie z.B. direkt im ersten Kapitel von Gampopas Der kostbare Schmuck der Befreiung und anderen Kommentaren beschrieben wird.

„In Silbererz ist Silber, in Sesamsamen ist Sesamöl
und in Milch ist Butter bereits vorhanden.
Ebenso, wie es möglich ist,
Silber aus Silbererz, Öl aus Sesam und Butter aus Milch zu gewinnen,
so liegt in allen Lebewesen die Möglichkeit,
vollkommenes Erwachen zu verwirklichen.“

Gerade das Verständnis der Buddha-Natur ist in den Mahayana-Schulen von sehr großer Bedeutung und insbesondere im Vajrayana eine wichtige Grundlage zur Entwicklung der Sichtweise der tiefgründigen Methoden, die mit den Tantras verbunden ist. Im Uttaratantra-Shastra[1] werden verschiedene Aspekte der Buddha-Natur ausführlich behandelt, um ein tieferes Verständnis zu ermöglichen.

„So wie ein Juwel, der Himmel und das Wasser rein sind,
ist [die Essenz des Geistes] von Natur her immer frei von Giften.“

„Gewöhnliche Wesen, hoch Realisierte und vollkommen Erleuchtete
nähern sich der Soheit in unterschiedlicher Weise an.
So haben die Seher der wahren Natur
die Essenz der Sieger (Buddha-Natur) gelehrt.“

„Diese letztendliche Weisheit (tib. Yeshe), die man dann erlangt,
ist die höchste Erleuchtung, mit all ihren Kräften usw. 
die die Fähigkeit besitzt, den Nutzen aller Wesen zu erfüllen.“

Die Vajrasattva-Praxis ist eine Methode, um die Verschleierungen zu beseitigen, die uns daran hindern, die Natur unseres Geistes zu erkennen. Es wird gesagt, dass es nicht möglich ist, Verwirklichungen zu erlangen, ohne die Verschleierungen zu beseitigen und Heilsames anzusammeln. Umgekehrt ist es hilfreich, sich während der Vajrasattva-Praxis an die allen Wesen innewohnende Buddha-Natur zu erinnern. Dadurch fällt es uns leichter, unsere Geistesgifte aufzugeben und uns nicht mehr so stark mit unseren negativen Aspekten zu identifizieren. Die Praxis erhält mehr Kraft, wenn wir uns auch auf die Qualitäten konzentrieren, die wir ja ebenso wie Vajrasattva selbst besitzen. Obwohl die uns innewohnende Buddha-Natur bereits mit allen Qualitäten ausgestattet ist, verwenden wir eine Methode, in der wir uns durch das Meditationsobjekt[2] symbolisch immer wieder mit diesen Qualitäten verbinden.

Während man die Praxis durchführt, stößt man vielleicht auf das ein oder andere Hindernis und die Übung mag manchmal schwerfallen, aber wie nach jeder Reinigung ist es danach sauberer als vorher. Auch wenn es nicht alles sofort perfekt ist und immer mal wieder etwas dazwischenkommt: mit jedem Schritt, jedem positiven Gedanken, jeder positiven Handlung, jedem Mantra wird es übersichtlicher und klarer!

Möge die Vajrasattva-Praxis für viele von großem Nutzen sein!

Tändsin T. Karuna

[1] Mahayana-Uttaratantra Shastra (skr., tib. Gyü Lama): Eine Abhandlung des Mahayana über das letztendliche, höchste Kontinuum (die Buddha-Natur).
[2] wie z.B. durch die Einweihung in der aufbauenden Phase der Meditation (tib. Kyerim), die Aktivität während der Mantra-Rezitation und die untrennbare Verbindung durch die vollendende Phase der Meditation (tib. Dzogrim).