Meditationen des tibetischen Buddhismus

Zufluchtnahme und Übertragungen des Vajrayana

Der Buddhismus ist reich an Methoden, mit denen der eigene Geist in positiver Weise verändert und die Lehren im Alltag angewendet werden können. Nachdem man sich mit allgemeinen Erklärungen vertraut gemacht hat, kann man durch das Ritual und die Praxis der ‚Zufluchtnahme‘ die Grundlage für alle weiteren Schritte der Entwicklung auf den Stufen und Pfaden legen und seine Erfahrungen in der Meditation erweitern und vertiefen. Mit der Zufluchtnahme richten wir unsere Übungen nicht nur auf eine positive Entwicklung in diesem Leben, sondern auch auf zukünftige Existenzen sowie die Befreiung aus dem Kreislauf des Leidens (Samsara) bzw. schließlich auf die vollkommene Erleuchtung (Buddha­schaft) aus.
Die buddhistischen Lehren wurden – angefangen von den Worten des Buddha über die Zufluchtnahme, das Aufnehmen der verschiedenen Gruppen von Gelübden bis hin zu den zahlreichen Methoden und Übungen des Vajrayana – in ungebrochenen Übertragungslinien von den großen Meistern bis in die heutige Zeit lebendig gehalten. Durch die Zufluchtnahme treten wir mit der Kraft und dem Segen der Übertragungslinien in Verbindung und folgen den Lehren und Methoden, durch die wir uns aus dem Kreislauf des Leidens (Samsara) befreien können. Auf der Ebene des Mahayana schließt dies die altruistische Geisteshaltung ein, zum Wohl und Nutzen aller Wesen die Qualitäten eines Buddha zu verwirklichen. Diese Geisteshaltung wird als ‚Bodhicitta‘ (skr.) oder ‚Erleuchtungsgeist‘ bezeichnet.
Die tiefgründigen Methoden des Vajrayana sind besonders gut für die heutige Zeit geeignet, da hier die Essenz der Lehren aus Sutras und Tantras zusammengefasst und auf verschiedenen Stufen der Praxis angewendet wird. Es gibt verschiedene Methoden, um negatives Karma zu reinigen und heilsame Anlagen in unserem Geist zu entwickeln. Indem sich geistige Verschleierungen immer weiter auflösen, können wir eine reine Sichtweise entwickeln und die Natur des eigenen Geistes erkennen, was z.B. in den stufenweisen Übungen der Mahamudra-Lehren geübt wird. Wir lernen nicht nur wie diese Methoden ausgeführt werden und wie wir sie in verschiedenen Situationen anwenden können, sondern auch, welche Einstellungen und Sichtweisen mit den Übungen entwickelt werden, damit sich ihre Wirksamkeit entfalten kann.
Nach der Zufluchtnahme und der Entwicklung des Erleuchtungsgeistes (skr. Bodhicitta) erhalten wir die verschiedenen Übertragungen des Vajrayana, d.h. die Einweihungen, die mündliche Übertragung der Texte und die Anweisungen zur Praxis. Durch diese Übertragungen werden wir ermächtigt, die verschiedenen Stufen der Visualisierung und der Mantra-Rezitation auszuführen. Die Übertragungen werden von qualifizierten Lehrern, die in einer entsprechenden Übertragungslinie stehen und Erfahrungen in der Praxis haben, weitergegeben. Die Anweisungen zur Praxis umfassen Anleitungen aus den Erfahrungen und Kommentaren früherer Meister sowie persönliche Anweisungen.

 

[…] Nach den Lehren von Ursache und Wirkung und so weiter sind Freiheiten und Glück schwer zu finden.
Selbst, wenn man als Mensch geboren ist, verbleiben riesige Gebiete ohne Dharma.
Buddhas erscheinen und lehren den Dharma sehr selten. Vor allem ist es kaum möglich, die Lehren des geheimen Mantra zu hören.
Das Leben steht keinen Augenblick still. Also denke reiflich nach: Kannst du es dir leisten, diese Freiheiten und dieses Glück zu verschwenden?

Ein (kostbares Menschen-)Leben mit Freiheiten und Ausstattungen zu erreichen ist wie zu einen Juwelenkontinent zu gelangen.
Ob wir Befreiung erlangen oder nicht, hängt von uns ab.
Vergewissere dich deshalb, es nicht mit leeren Händen zu verlassen.

Die drei Juwelen (Buddha, Dharma und Sangha) sind wie die Ausstrahlung der Sonne.
Ihr Mitgefühl ist unvoreingenommen und unermüdlich.
Nimm aus tiefstem Herzen Zuflucht.

Das Bodhicitta des Wunsches ist wie ein Reisender, der seine Fahrt beginnt.
In Kürze wird er die Buddhaschaft erreichen.
Bemühe dich deshalb um reines Bestreben.

Das Bodhicitta der Ausführung ist wie ein richtig gebauter Kanal.
Dadurch kann man sorglos die zwei Ansammlungen vollenden.
Es wird kontinuierlich Verdienst entstehen.

Bodhicitta[1] ist die Quelle aller Bodhisattvas und der ganze Dharma dient nur dem Wohle anderer.
Besonders auf dem Pfad zum Erlangen der Buddhaschaft in einem Leben ist es notwendig,
die Lehren der Entstehung und Vollendung des geheimen Mantra zu praktizieren.

Die zur Reife führenden vier Ermächtigungen sind wie ein Nektarstrom.
Sie reinigen die vier Verschleierungen und legen die Samen der vier Kayas.
Sie sind die Wurzel des Mantra-Pfades.

Ruhiges Verweilen ist wie eine Lampe, die nicht vom Wind be­wegt wird.
Obwohl die sechs Objekte klar gegenwärtig sind, sind sie frei vom Greifen des Geistes.
Lasse nicht zu, dass die Achtsamkeit nachlässt.

Der gewöhnliche (natürliche) Geist ist wie das Zentrum des Himmels.
Er ist unberührt von den Gedanken der drei Zeiten
und seine Bestehensweise ist ungeschaffenes Gewahrsein.

Die zehn Bhumis und fünf Pfade sind wie das Hinaufsteigen einer Treppe.
Aufgrund von vollständigen Ursachen und Bedingungen kann man allmählich Fortschritte machen.
Man soll die Aktivität eines Bodhisattva aufrechterhalten.

Mitgefühl ist die Aktivität der Meditation.
Kontempliere zum Wohl der Wesen über Bodhicitta und rezitiere Gebete und Widmungen.

Die Rüstung der Meditation ist Aufmerksamkeit und Achtung für sich und für andere.
Beurteile dich selbst und mache es nicht zum Anliegen anderer.

Es ist wichtig, gemäß den eigenen Fähigkeiten zu praktizieren.
Fehlerfreie Praxis führt zur Sicht des eigenen ursprünglichen Gesichts.

[Auszüge aus: Die Juwelenschatzkammer guter Ratschläge – Hundert Herzensunterweisungen; Die Weisheit des Drikung Bhande Dharmaradza (DKV)]

Tändsin T. Karuna

Am 14. Januar beginnt ein wöchentlicher Kurs zur Zufluchtnahme und Entwicklung von Bodhicitta, der immer dienstags um 19.30 Uhr beginnt und 12 Abende umfasst.

[1] Bodhicitta (skr., der Erleuchtungsgeist): das altruistische Streben nach Erleuchtung zum Nutzen aller Wesen.