Ein paar Bemerkungen und Buchtipps zu den Themen Vergänglichkeit und Abhängiges Entstehen
Vor ein paar Jahren musste ich häufiger mit dem Zug die gleiche Strecke fahren und habe die Situation für eine improvisierte Meditation über einen Aspekt des bedingten Entstehens genutzt. Da sitze ich also im Zug, in einem modernen Zweite-Klasse-Waggon. Auf der Wand schon ein paar Kratzer und Graffitis. Ich gehe in der Phantasie in der Zeit zurück. Der Waggon kommt frisch aus der Herstellung. Noch keine Kratzer und Graffitis. Alles sauber, glänzend und frisch. Weiter zurück. Der Waggon wird in der Montagehalle aus Modulen zusammengesetzt. Die Module werden in anderen Fabriken aus halbfertigen Produkten wie Stahlblechen, Glasscheiben, Kunststoffteilen geformt. Die Bleche kommen aus der Stahlwerk, … so geht es zurück bis zur Förderung der Metallerze … und auch da ist kein Ende oder vielmehr noch kein Anfang abzusehen.
Nun in der Phantasie voran. In einigen Jahren ist der Waggon heruntergekommen, die Polster schäbig, Wände und Scheiben verkratzt und beschmiert, die Türen klemmen. Der Waggon wird ausgemustert, verschrottet, zerlegt. Manches wird eingeschmolzen und recycelt, manches zerfällt langsam auf der Müllkippe. Vielleicht ein Rattennest im Polster, auf dem ich jetzt sitze. Und doch bleibt während meiner ganzen Fahrt alles stabil und zuverlässig. Was im kleinen Zeitmaß meist beständig und verlässlich ist, ist im größeren Zeitmaß flüchtig und haltlos. Wir sind in beide Zeitmaße eingehängt. Nur dass wir das letztere leichter vergessen. Manchmal müssen wir meditieren, um uns zu erinnern.
Die Erinnerung an die Vergänglichkeit der Dinge, ihres Geborenwerdens und Sterbens, ihre Abhängigkeit von so vielen Faktoren, die wir nicht unter Kontrolle haben, ist in West und Ost konstantes Thema der Literatur, Philosophie, Religion. Hier seien aus der großen Zahl der Bücher nur drei hervorgehoben, die sich diesen Themen aus allgemeiner und aus buddhistischer Sicht nähern.
Auf die zentrale Lehre vom Abhängigen Entstehen wird Khenpo Tamphel demnächst in seinen Unterweisungen zum Gongchig eingehen (siehe Seite 49) und ihre viel umfassenderen Aspekte aufzeigen.
Buchtipp 1
Marc Ritter / Tom Ising
Das Allerletzte
Was Sie schon immer über den Tod wissen wollten
Riemann Verlag, München 2013
22,99 €
Der Autor Marc Ritter und der Grafikdesigner Tom Ising haben eine schöne, auch schön gedruckte, gebundene und bebilderte Blütenlese zum Thema Sterben und Tod herausgebracht. Nicht ohne Humor, aber ohne Sentimentalität oder Zynismus.
„Unsere Lebensaufgabe als aufgeklärte Menschen ist es, sich diesem krassesten aller Widersprüche zu stellen und zu versuchen, ihn intellektuell zu begreifen. Schlussendlich müssen wir die abstrakte positive Tatsache, dass es den Tod gibt, genauso annehmen wie den konkreten bitteren Tod einzelner Menschen und unseres eigenen Körpers und Geistes.“
Das Autorenduo möchte dazu, soweit dies Literatur kann, „einige Handreichungen geben“.
Die beiden nähern sich dem Thema von sieben Seiten: Der Tod und der Geist / Der Tod und der Körper / Der Tod und das Recht / Der Tod und der Glaube / Der Tod und das Geschäft / Der Tod und die Gesellschaft / Der Tod und das Leben. Sämtliche Aspekte des Todes und des Sterbens werden beschrieben. Was hat es mit den Nahtoderfahrungen auf sich? Man erhält Einblicke in Statistiken von den Top Ten der beliebtesten Bestattungslieder über die tödlichsten Straßen der Welt …
Die Süddeutsche Zeitung schrieb: „Es ist keine psychologische Abhandlung mit Fallbeispielen, keine philosophische Aufarbeitung, sondern eine Art Lexikon. Zum Nachschlagen, zum Schmökern, ja, und auch zum Schmunzeln.“
Buchtipp 2
Der XIV. Dalai Lama Tenzin Gyatso
Die Lehre des Buddha vom Abhängigen Entstehen
Die Entstehung des Leidens und der Weg der Befreiung
Dharma Edition, Hamburg 1996
12,90 €
Alle buddhistischen Schulen erkennen das Grundprinzip des Abhängigen Entstehens an. Dennoch gibt es verschiedene Ebenen der Erklärung. Auf der ersten Ebene wird das Abhängige Entstehen mit dem Kausalitätsgesetz gleichgesetzt, nämlich dass Wirkungen von ihren Ursachen abhängig sind.
Eine zweite, etwas tiefgründigere Ebene des Abhängigen Entstehens bezieht sich darauf, dass alle Phänomene von ihren Teilen und Aspekten abhängig sind. Sie sind ein Ganzes, das nur in Abhängigkeit von seinen Teilen besteht.
Die höchste, buddhistische Philosophie beschreibt eine subtilere Form des Abhängigen Entstehens, nämlich dass die Phänomene abhängig sind von dem benennenden Geist. Die Phänomene existieren nicht von ihrer Objektseite her, sondern nur aufgrund der Tatsache, dass es zu den Teilen und Ursachen, von denen sie abhängig sind, noch den benennenden Geist gibt, der sie als dieses oder jenes erfasst, sie benennt und ihnen eine Bedeutung zuschreibt. Dies ist die subtilste Ebene des Abhängigen Entstehens.
In diesem Buch erläutert der Dalai Lama besonders die Zwölf Glieder des Abhängigen Entstehens, wie sie im „Sutra vom Reiskeimling“ überliefert sind. Damit greift er den wichtigsten Aspekt des Abhängigen Entstehens auf: das Gesetz des Karma, den kausalen Zusammenhang der Ursachen und Wirkungen unserer Handlungen. Der Leser erlangt tiefe Einblicke in das Entstehen von Glück und Leiden, wie es im Buddhismus erklärt wird.
Dabei nimmt der Dalai Lama Bezug auf das berühmte buddhistische Bild vom „Rad des Lebens“, das die Leidenssituation, in der die Lebewesen gefesselt sind, klar zum Ausdruck bringt. Das profunde Verständnis, das er in diesem Buch vermittelt, eröffnet die Möglichkeit, durch Erkenntnis zur Befreiung zu gelangen. Die Mittel, die schrittweise zu üben sind, werden ausführlich geschildert.
Buchtipp 3
Khensur Jampa Tegchok
Leerheit und Abhängiges Entstehen
Die Essenz der buddhistischen Philosophie
Diamant Verlag, München 2004
17 €
Dieses Buch gibt eine Einführung in die buddhistische Sicht der Wirklichkeit auf der Basis einer Schrift von Tsongkhapa mit dem Titel „Lobpreis des Abhängigen Entstehens“. Es stellt ein allgemein als schwierig geltendes Thema mit großer Klarheit dar und enthält detaillierte Meditationsanleitungen, mit deren Hilfe eigene falsche Wahrnehmungen überwunden werden können.
Der tibetische Lama Khensur Jampa Tegchok ist unter seinen Landsleuten wie auch im Westen gleichermaßen für seine Gelehrsamkeit und seine ausgezeichnete Fähigkeit der Vermittlung der buddhistischen Lehren bekannt ist. Von 1982 bis 1990 lebte und lehrte er in Europa, 1991 ernannte ihn Seine Heiligkeit der Dalai Lama zum Abt von Sera-je, einer der größten tibetischen Klosteruniversitäten im indischen Exil.
Tibet und Buddhismus schreibt in einer Rezension:
„Der Lobpreis eignet sich hervorragend zur Meditation. Geshe-las Kommentar dazu ist in einer Art abgefasst, die typisch für tibetische mündliche Unterweisungen ist: philosophisch exakt und dadurch für den Ungeübten etwas unzugänglich, aber voller Facetten und Wiederholungen, um uns den inneren Zugang zu erleichtern. (…) Das Buch ist sorgfältig und liebevoll gemacht, sogar mit Rückübersetzungen ins Tibetische, die von Geshe-la geprüft wurden …“
Rolf