Buch-Tipp: Oliver Petersen – Gelassen durch den Alltag

Buddhistische Lebens-Kunst

Oliver Petersen
Gelassen durch den Alltag
Wie buddhistische Lebenskunst uns glücklich macht

Ullstein Verlag, München 2019
192 Seiten, 12 €

Daniel Goleman, der Psychologe und Autor des Buches „Dialog mit dem Dalai Lama – Wie wir destruktive Emotionen überwinden können“ berichtet folgende Anekdote: Im Jahre 1975 hatte Chögyam Trungpa Rinpoche ihn in ein Restaurant in Massachusetts eingeladen, […]. Irgendwann im Gespräch lehnte er sich mit verschwörerischer Miene über den Tisch, schaute ihm in die Augen und sagte mit großem Nachdruck: „Der Buddhismus wird in den Westen als eine Psychologie kommen.“

Auch die von der ‚Psychologie‘ heute kaum scharf abzugrenzende Frage nach der (richtigen) „Lebenskunst“ ist ein wichtiges Thema unserer Zeit – bis in die Philosophie hinein. Buchtitel wie „Philosophie der Lebenskunst“ (W. Schmid), „Du mußt dein Leben ändern“ (P. Sloterdijk), „Philosophie als Lebensform“ (P. Hadot), nicht zuletzt M. Foucaults Untersuchungen zu den Themen „Lebenskunst“ und „Selbstsorge“ bilden seit einigen Jahrzehnten eine unüberhörbar gewordene Stimme in der Diskussion der Lebens-Frage: „Wie kann/soll/will ich leben?”
Das ist keine neue Frage, aber auch keine, die so schnell veralten dürfte. Denn jede Generation und jeder einzelne muss diese Herausforderung von neuem bewältigen. Man kann die Frage nicht für andere beantworten, wenngleich man natürlich Erfahrungen und ‚Tipps‘ weitergeben kann.

In „Lebenskunst“ stecken zwei Elemente: die Frage nach unserer Auffassung von „Leben“ und die nach der „Kunst“, die diesem Leben gerecht werden kann. Beide Aspekte gehören zusammen. Wie man etwa die Wirkungskraft von „Meditation“ einschätzt, hängt natürlich auch davon ab, welches Bild man sich z.B. von der Abhängigkeit zwischen Geist und Gehirn macht.
Buddhistische Lebens-Kunst stellt die Lebens-Frage, indem sie die jahrtausendealte buddhistische Lebenserfahrung einbezieht und das Welt- und Menschenbild des Buddhismus als Orientierung nimmt. Oliver Petersen, seit über dreißig Jahren buddhistischer Lehrer am Tibetischen Zentrum Hamburg, schreibt:
„»Den Dingen geht der Geist voran, der Geist entscheidet.« Dieses Zitat [des Buddha] handelt nicht von der Frage, wie die Welt entstanden ist, sondern wovon die Qualität unseres Lebens wesentlich abhängig ist. Äußere Verhältnisse sind demnach nicht die eigentlichen Ursachen unseres Glücks und Leidens, sondern höchstens Umstände, die diese Empfindungen auslösen. Die eigentlichen Wurzeln unseres Wohlbefindens liegen nicht außerhalb von uns, sondern in uns, […]“
Dies ist, wie Petersen betont, eine Auffassung, die sich mit der modernen Forschung verbinden lässt: „Auch in der Neurowissenschaft hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass unser Gehirn formbar und wandlungsfähig ist. Jede Aktivität unseres Geistes in Form von Gedanken, Empfindungen und Wahrnehmungen prägt unser Gehirn. Wir haben also einen wesentlichen Einfluss darauf, wie wir die Welt erleben bzw. konstruieren.“

„Ist Glück Glückssache?“ oder „Kann ich Glücklichsein trainieren?“ – dies sind Fragen, mit denen Petersen einsteigt. Und natürlich können wir etwas dafür tun, wie wir uns fühlen. Wir sind nicht nur den Launen unseres, ach so wechselhaften, Gefühlslebens ausgeliefert. Aber es ist für Petersen ebenso wichtig, darüber nachzudenken, was denn Glücklichsein ausmacht. Sicherlich trägt „eine stabile ökonomische Situation auch wirklich zum persönlichen Glück bei“. Dennoch ist materieller Besitz kein ‚Glücksgarant‘: „Die Gier nach materiellem Besitz scheint unstillbar zu sein, als ob man Salzwasser trinken würde und dadurch niemals den Durst löschen kann. Auch wohlhabende Nationen sind nicht zwangsläufig glücklicher als die in eher bescheidenen Verhältnissen lebenden Gesellschaften.“
Petersens aktuelles Buch ist keine theoretische Abhandlung. Es geht dem Autor, obwohl er immer wieder wichtige philosophische Reflexionen einbezieht, in erster Linie um praktische Ansätze, die von unserem modernen Alltagsleben ausgehen. Gerade dort zeigt der Buddhismus nämlich, dass er dem modernen Menschen Konkretes und Anwendbares vermitteln kann.

Die Kapitelüberschriften lauten: „Kann ich Glücklichsein trainieren?“, „Kann ich mich weiterentwickeln?“, „Meditation – Wie geht das?“, „Das Wunder der Achtsamkeit“, „Wie komme ich mit meinen Emotionen klar?“, „Wie finde ich meine Mitte? – Die praktische Schulung des Gleichmuts“, „Was kommt dabei heraus? – Die Vier Himmlischen Verweilzustände“, „Ausblick auf weitere Dimensionen geistiger Entwicklung“, „Lektüreliste“.
In diesem Aufbau steckt eine ganz buddhistische Folgerichtigkeit. Am Anfang wird gezeigt, „dass die Arbeit mit dem Geist der erfolgversprechendste Weg zum Glück ist“. Nach Grundmethoden der Meditation und der Achtsamkeitsschulung zeigt der Autor dann das Wesen der Emotionen und Gegenmittel zur Überwindung negativer Emotionen aus buddhistischer Sicht auf. Die Entwicklung von Gleichmut als einer der „Vier Himmlischen Zustände“ macht uns dann auch, wie Petersen sich sicher ist, „im Alltag wahrhaft glücklich und gelassen.“

Petersen ist nicht nur seit vielen Jahren dem Buddhismus der tibetischen Tradition verbunden, er arbeitet auch als Gestalttherapeut. Und beide Seiten, die buddhistische und die psychologische, ergänzen sich in diesem Buch sehr vorteilhaft.
Resultat ist ein Buch (nicht nur für Buddhisten geeignet), das den Leser abholt, wo er steht, zugleich aber den „Ausblick auf weitere Dimensionen geistiger Entwicklung“ öffnet. Es ist dies eine Perspektive, für die sich Petersen auf den Dalai Lama beruft:
„Der Dalai Lama spricht […] von der Vermittlung einer säkularen Ethik für jedermann. Diese Vorgehensweise hat sich schon bei der Einführung der Achtsamkeitspraxis in der Psychotherapie des Westens als sehr erfolgreich herausgestellt. Es gibt darüber hinaus aber noch sehr viel mehr ungehobene Schätze des Buddhismus, die für die Menschen in unserer Kultur nützlich sein können. In diesem Buch erkläre ich Ihnen, systematisch und leicht verständlich, die buddhistische Geistesschulung und vermittle Ihnen grundlegende Übungen, die Ihnen im Alltag helfen werden, gleichmütig und glücklich zu sein.“

Wer sich für die Themen Achtsamkeit, Meditation, Umgang mit Emotionen interessiert und neugierig ist auf eine anwendbare und weiterführende buddhistische Perspektive, ist bei diesem leicht lesbaren und sachlichen Buch gut aufgehoben.

Rolf