Rezension des Buches von Chögyam Trungpa
Theseus Verlag, 19,90 €
Chögyam Trungpa wurde 1939 in Tibet geboren. Er flüchtete 1959 nach Indien und studierte später in Oxford Psychologie, Philosophie, Religionswissenschaft und Kunst. Er wurde ein hervorragender Kenner westlichen Denkens und gründete weltweit Meditations- und Studienzentren. 1969 gab er nach einem Motorradunfall die Mönchsgelübde auf, heiratete eine Engländerin und führte ein sehr weltliches Leben, was ihm vielfach vorgeworfen wurde. 1974 gründete er in Colorado (USA) das Naropa Institut und vermittelte das Shambala Training. 1986 siedelte er mit seiner Familie nach Kanada über, wo er bald darauf an einem Herzinfarkt starb.
Der 157 Seiten starken gebundenen Ausgabe schließt sich ein Anhang, ein Register und ein Abbildungsverzeichnis an. Das gesamte Buch ist in acht Kapitel eingeteilt.
Chögyam Trungpa beginnt mit der Beschreibung von Meditation, was sie ist, wie sie sein sollte, welchen Sinn und Zweck sie erfüllt und beschreibt zeitgleich, was sie nicht bedeutet, nämlich Ekstase oder Seelenruhe zu erlangen oder der Versuch, ein besserer Mensch zu werden. Nein, sie „schafft einfach einen Raum, in dem wir dazu fähig sind, unsere neurotischen Spiele, unsere Selbsttäuschungen, unsere verborgenen Ängste und Hoffnungen zu enthüllen und aufzulösen.“
Auch das Wie beschreibt er. Es hört sich simpel und klar an: Durch die einfache Disziplin des Nicht-Tuns.
Viele werden schon die Erfahrung gemacht haben, wie außerordentlich schwer es sein kann, nichts zu tun, aber Chögyam Trungpa beschreibt die Annäherung an die Fähigkeiten, mit dem Geist zu arbeiten, gegenwärtig ganz im Hier und Jetzt zu sein, weder etwas zu unterdrücken noch es ungezügelt loszulassen. Und nicht, in einer beschaulichen Übung dem Gehetze und dem Alltagslärm zu entfliehen, sondern die Dinge sehen zu lernen so wie sie sind.
Und er warnt, die buddhistischen Lehren als Problemlöser, als magische Mittel zu sehen, um mit Depressionen, Aggressionen oder anderen Schwierigkeiten umzugehen. Die richtige Erkenntnis – man hat es geahnt – ist die, an und mit sich selbst zu arbeiten. Alles erfolgreiche Streben beginnt mit der Demaskierung der Egozentrik und zeitgleich öffnen sich neue Räume.
Chögyam Trungpa erläutert in vielen Beispielen die Existenz von Leiden. Im einem Kapitel widmet er sich der Ichlosigkeit, eines für buddhistische Laien nicht sofort zugänglichen oder leicht zu verstehenden Begriff. Und dennoch: innerhalb der drei Seiten zum Thema Ichlosigkeit bekommt man eine Ahnung, was damit gemeint ist. Und dies wird weiter in dem darauffolgenden Kapitel mit Hilfe der fünf Skandhas vertieft.
Gut erklärt und aufschlussreich folgen Erläuterungen zu den sechs Bereichen. Ob Begierde im menschlichen Bereich, Unwissenheit im Bereich der Tiere oder das ausdauernde Gefühl der Unzulänglichkeit und des Mangels beispielsweise im Bereich der Pretas – alles wird anschaulich in vielen Beispielen dargelegt.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Meditation als solche. Das Karussell im Kopf, das man schon erlebt haben mag, der ungebändigte Elefant im Denkapparat, das Misstrauen, die eigene Spitzfindigkeit, all das wird angesprochen und beleuchtet. Und der Leitsatz sagt aus, dass die Meditationspraxis darauf beruht, „[…] dualistische Bindung, den Kampf von Gut gegen Böse, fallenzulassen. Die Haltung, die wir der Spiritualität entgegenbringen, sollte natürlich, alltäglich, ohne Ehrgeiz sein“. Und weiter: „Daher sollte die Einstellung, die wir für die Meditationspraxis mitbringen, sehr einfach sein und nicht auf dem Vorhaben beruhen, Vergnügen anzusammeln oder Schmerzen zu vermeiden. Meditation ist vielmehr ein natürlicher Ablauf, der mit dem Material von Schmerz und Freude als dem Weg arbeitet.“
Bei allen Erläuterungen, die Einfachheit, Achtsamkeit und Bewusstheit mit einschließen, spricht er über die positive Bedeutung der Langeweile in der Meditation, eine auf den ersten Blick befremdliche Aussage, die aber nach den Erläuterungen nachvollziehbar und letztendlich sogar logisch klingt.
Das vierte Kapitel mit der Überschrift „Der Umgang mit den Emotionen“ beginnt mit der Definition und Differenzierung von Emotionen und dem angemessenen Umgang mit ihnen. Wenn wir verstehen, dass es Energien sind, mit denen man arbeiten und umgehen kann, scheint es tatsächlich einen Weg zu geben, mit ihnen angemessen umzugehen. Chögyam Trungpa zeigt ihn auf, ohne eine platte Handlungsanweisung analog zu vielen Lebenshilfebüchern heutiger Zeit zu geben.
Das fünfte Kapitel „Aktive Meditation“ umreißt die Unterkapitel „Arbeit“, „Liebe“, eine aufschlussreiche Abhandlung zum Thema „Umgang mit anderen Menschen“ und schließlich die Erläuterungen zum „Achtfachen Pfad“, die damit beginnen, dass der Buddhismus keinerlei bezaubernde und herrliche Versprechen macht, sondern dass der Buddha uns einen Pfad angeboten hat, den er einen Weg mit acht charakteristischen Eigenschaften nannte. Sämtliche Pfade oder Merkmale sind kurz aber verständlich erklärt.
Das sechste Kapitel beschäftigt sich mit den Bodhisattva-Gelübden und den einzelnen Bodhisattva-Stufen. Er kommt zu folgendem Schluss: „Vom buddhistischen Standpunkt aus ist der gesamte Prozess des spirituellen Pfades ein organischer Vorgang natürlichen Wachstums: Wir erkennen die Grundlage so an, wie sie ist. Wir erkennen das Chaos des Weges an, wir erkennen den farbenfrohen Aspekt der Erfüllung an…“
Es folgen die mündlichen Unterweisungen in Mahamudra, die Naropa von Tilopa erteilt wurden. Ich betrachte sie als eine Art Zusammenfassung des ganzen Buches.
Fazit: Wer sich schon mit Buddhismus beschäftigt hat oder wer sich auch mit auf den ersten Blick zuerst einmal fremd wirkenden Aussagen auseinander setzen möchte, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt.
Neulingen zu diesem Thema empfehle ich, manch ungewohnte Terminologie im Internet nachzuschlagen – das ist überhaupt kein Problem. Hilfreich sind übrigens auch Infoabende im Zentrum oder Tagesseminare für Anfänger.
Und natürlich hat das Zentrum das Buch im Shop „Mandala“ vorrätig oder kann von dort per Post zugeschickt werden.
Eine persönliche Anmerkung zum Schluss: Es gibt Passagen in dem Buch, die auch mir nicht auf Anhieb zugänglich waren. Aber meine inzwischen langjährige Erfahrung mit dem Lesen buddhistischer Literatur bzw. mit Unterweisungen buddhistischer Lehrer ist die, dass es irgendwann eben doch klar und eindeutig wird, was gemeint war. Ich bin überzeugt davon, dass auch eine gewisse „Reife“ dazu gehört, etwas vollkommen zu verstehen und zu erfassen. Und wenn nicht heute, dann morgen – oder irgendwann. Das sollte niemanden abhalten, sich damit zu beschäftigen – es lohnt sich allemal!
Gustel Schreurs