Zehn Jahre im Ngöndro
Als ich Ende Dezember den Zieleinlauf bei den Mandala-Darbringungen erreicht hatte, war ich sehr bewegt! Ich hatte mich einen Tag vor dem Jahreswechsel nach der Arbeit noch hingesetzt und nicht aufgehört, bis ich auch die letzte der noch fehlenden Darbringungen geschafft hatte. Angetrieben hatte mich in den letzten Wochen am meisten der nach wie vor sprunghafte Geist, der während der Praxis immer wieder zu den vielfältigen Veränderungen abgeschweift war, die das zu Ende gehende Jahr mit sich gebracht hatten.
Ein ähnliches Gefühl wie das, das mich an diesem Tag bewegte, nachdem ich die vierte Übung nach rund zehn Jahren im Ngöndro absolviert hatte, habe ich nur zweimal im Leben und zwar bei ziemlich anders gearteten Ereignissen erfahren: dem Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei einer Weltmeisterschaft, den ich als Kind vor dem Fernseher miterlebt habe, und dem Erlangen meiner eigenen höchsten sportlichen Auszeichnung Jahrzehnte später. Gemeinsam ist allen drei Ereignissen wohl das Gefühl großer Dankbarkeit, dies erfahren zu dürfen.
Ähnlich lange habe ich ansonsten nur studiert, während ich allerdings zeitgleich mein Leben dem Leistungssport verschrieben hatte. Parallel zum Ngöndro hat mich die überwiegende Zeit ein Mehr-als-Fulltime-Job ‚abgelenkt‘ und zum Schluss auch noch der Verkauf des Betriebs meines Vaters. Wenn ich jetzt im Praxisband zum Ngöndro blättere, kann ich anhand meiner Strichlisten (nix digitales Zeitalter) nachvollziehen, dass ich die erste Übung im September 2011 abgeschlossen habe, die zweite im August 2015, die dritte im Dezember des gleichen Jahres und die vierte schließlich weitere zwei Jahre (und einige Irrungen und Wirrungen) später.
Am leichtesten fiel mir die Guru Yoga Praxis, die ich in nur vier Monaten ohne nennenswerte Unterbrechungen absolviert habe. Die Reinigungspraxis von Vajrasattva hat mich dagegen am längsten beschäftigt. Begonnen hatte ich damit 2007, abgeschlossen habe ich sie aber erst 2015. Die gleiche Zeit habe ich ansonsten in meinem Leben nur für das Erreichen meines sportlichen Lebensziels und den Verkauf des Familienbetriebs benötigt.Die Niederwerfungen waren mit rund drei und die Mandala-Darbringung mit ziemlich genau zwei Jahren dagegen regelrecht kurzweilig.Ich habe die Übungen auch nicht in der vorgesehenen Reihenfolge abgeschlossen. Aber auch das gehört wohl zum Weg, der das Ziel ist, dazu, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen und das Beste daraus zu machen.Oder, wie manche Lehrer betonen, wichtig ist, dass wir uns überhaupt auf den Weg gemacht haben. Mein bisheriger Weg war auf jeden Fall ein Zick-Zack-Kurs, auf dem in langen Phasen meine tägliche Praxis manchmal ‚lediglich‘ darin bestand, Geduld mit mir selbst und meinen jeweiligen Lebensumständen aufzubringen.
eine Ngöndro-Praktizierende