Buchtipp
Elmar R. Gruber
Aus dem Herzen Tibets
Das faszinierende Leben des Drikung Kyabgon Chetsang
Seine frühen Jahre verbringt Chetsang Rinpoche (*1946) zur Ausbildung im Kloster. Es ist die Zeit der beginnenden ‚Eingliederung‘ Tibets in die Volksrepublik China.
„In Drikung, wie in vielen Teilen des Landes, war die Zeit stehen geblieben. Auf die Stetigkeit der religiösen und kulturellen Überlieferung war Verlass. Wie Züge von Geistern bewegten sich die ersten großen Truppenkontingente der Volksbefreiungsarmee durch das Tal des Shorong nach Lhasa, vorbei an den Klöstern Drikung Thil, Yangrigar und Drikung Dzong. Sie kamen in dumpfem Gleichschritt als ausgezehrte Gestalten, wirbelten Staub auf, und als er sich legte, waren sie verschwunden. Die abergläubische Dorfbevölkerung begleitete ihren Weg mit Händeklatschen. Was die erschöpften Soldaten als Anerkennung ihrer Bemühungen auslegten, ist in Wahrheit die tibetische Art, böse Geister zu vertreiben. […]
Während das einfache Volk auf dem Auge der Politik blind war, wussten die Manager des Klosters durchaus, dass sie sich mit den Mächtigen arrangieren mussten, wollten sie ihre Privilegien bewahren. Khenpo Tseten Sangpo, Abt der Philosophieschule Nyima Changra, reiste als Vertreter von Drikung mit der Delegation des Dalai Lama 1955 nach China. Bei den Gesprächen mit chinesischen Parteikadern befürwortete er den von den Kommunisten angestrebten Wandel der Gesellschaft. Tseten Sangpo und Chagdzö Tsephel, der Manager von Drikung, kümmerten sich mit großer Hingabe um arme Menschen und genossen höchstes Ansehen und Sympathie unter der Bevölkerung. Aus dieser Gesinnung heraus fanden sie die gesellschaftspolitischen Ideale der Kommunisten durchaus begrüßenswert. [… ]
Mangels Einblicken in internationale Gegebenheiten hofften viele, die Chinesen könnten die Geburtshelfer dieses Wandels sein. Tatsächlich brachte China in Tibet den Wandel, jedoch mit dem Ziel der Auslöschung der religiösen Tradition, ja der gesamten kulturellen und gesellschaftlichen Eigenheit. Ein Wandel, den selbst die Radikalsten in der pro-chinesischen Fraktion so niemals wollten.
In diesem rückwärts und nach innen gewandten Reich begann für den fünf Jahre alten Rinpoche die monastische Ausbildung. Vor Sonnenaufgang fing der Unterricht an. Einer seiner Hausdiener, Solpön Konchog Tsewang, brachte ihm das Lesen bei. Eine Fertigkeit, die in der klösterlichen Erziehung von größter Wichtigkeit war. Mussten die Schüler doch, sobald sie lesen konnten, viele Texte aus dem buddhistischen Kanon auswendig lernen. Bei Solpön Tsewang hatte Rinpoche wenig zu lachen. Sobald er einen Fehler machte, versetzte ihm sein strenger Lehrer einen Stoß und bellte eine Rüge. War er einmal gar nicht mit seinem Schüler zufrieden, konnte Tsewang sehr zornig werden. Dann setzte er zu Prügel an. Obwohl Chetsang wusste, dass die Schläge nur angedroht waren, ergriff er oft die Flucht und wartete, bis sich die kurzlebige Erregung seines Lehrers gelegt hatte. Um den Schlägen zu entgehen, durfte der Schüler auch alternativ drei vollkommene Niederwerfungen machten. Diesen Ersatz nahm Chetsang gerne an.“ (S.70f.)
So beschreibt Elmar Gruber den Beginn der „frühen Jahre im Kloster“ von Chetsang Rinpoche. Die politische Situation färbt auf die Lebensatmosphäre seiner Jugend auch außerhalb des Klosters ab.
„Jedes Jahr, meist im Spätsommer, kam Chetsang Rinpoche zu Besuch ins Elternhaus. Er wunderte sich über die Anwesenheit so vieler Chinesen in den Straßen und die bedrückte Stimmung, die Eltern und Großeltern nicht vor ihm verbergen konnten. Oft sah er, wie sie angespannt den Nachrichten im Radio lauschten. Es schickte sich nicht, Fragen zu stellen, und die Erwachsenen behielten ihre Sorgen für sich. Im Gegenteil, besonders Großvater Tsarong war bemüht, es den Kindern im Haus so schön wie möglich zu machen.“ (S.83)
Dies sind zwei Proben aus der zuerst 2007 erschienenen und nun in der „Edition Garchen Stiftung“ neu aufgelegten Biografie: „Aus dem Herzen Tibets – Das faszinierende Leben des Drikung Chetsang Rinpoche“.
Ihr Autor, Elmar Gruber, beschreibt Chetsangs Leben (Gruber schreibt statt des vollen Namens und Titels meist einfach „Chetsang“) im Kontext der politischen und sozialen Konflikte und der internationalen Kräftespiele des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. Der Autor schildert ein spirituelles Leben, aber auf eine moderne und europäische Weise, wie man sofort spürt, wenn einen Blick auf traditionelle tibetische Lebensbeschreibungen wirft:
„Biografien von tibetischen Meistern sind meist hagiographischer Natur – es sind Heiligengeschichten, ohne deswegen aber erfunden zu sein. Sie filtern aus der Lebensgeschichte all das heraus, was für die Hingabe und den eigenen Praxisweg hilfreich ist, und dienen dazu, Vertrauen und Hingabe zu wecken, zur Praxis zu ermutigen und die Schritte des Erwachens am perfekten Beispiel zu verdeutlichen. Es geht nicht darum, die alltäglichen Dinge des Lebens, das Auf und Ab der Sorgen, Herausforderungen und Konflikte darzustellen.“ So erläutert es Tilmann Borghardt, der Herausgeber der Biografie „Der Mahamudra-Meister Djetsün Gampopa“.
Elmar Grubers Biographie umglänzt Chetsang Rinpoche sprachlich weder mit einer Aura der Heiligkeit noch gefällt sie sich in ‚Einblicken ins Privatleben‘. Auch, wo sie Chetsangs äußere Lebensumstände (familiäre Herkunft, soziale Lage, seelische Konflikte) lebendiger und detaillierter schildert als dies in traditionellen Biografien der Fall ist, bleibt sie im Ton stets respektvoll und frei von journalistischen Enthüllungsambitionen.
Nach Tilmann Borghardt werden in Tibet „äußere, innere und geheime Biographien unterschieden. Die Äußere stellt den chronologischen Lebensablauf dar. […] Eine innere Biografie erwähnt die äußeren Lebensstationen nur am Rande und widmet sich hauptsächlich dem Üben der Meditation, den ausgeführten Praktiken und den Meditationserfahrungen. Eine geheime Biografie handelt von den intimen Meditationserfahrungen, den Zeichen der Praxis wie Realisationen und Visionen.“
In Büchern wie beispielsweise „Die großen Kagyü-Meister“ oder „Die Goldene Perlenkette der Drikung-Linie“ (aus dem Drikung Kagyü Verlag) ist diese Art der Lebensbeschreibung sehr deutlich ausgeprägt, wohingegen moderne, europäische Biografien großen Wert auf eine detaillierte und psychologisch nachfühlbare Darstellung der sozialen Umgebung, der seelischen Entwicklung der Person im Verhältnis zu ihrem Werk usw. legen.
Für sein Buch investierte Elmar Gruber drei Jahre der Recherche. Er durfte zahllose Stunden im Gespräch mit Seiner Heiligkeit persönlich und vielen anderen verbringen, die Rinpoche gekannt oder zu einem bestimmten Zeitpunkt begleitet haben. Darunter waren viele Drikung Rinpoches, Lamas und Mönche, von denen einige sogar die vorherige Inkarnation des Drikung Kyabgön – Shiwe Lodrö – gekannt haben. Gruber interviewte auch die Familie von Chetsang Rinpoche, viele seiner westlichen Schüler und Freunde und natürlich auch Heinrich Harrer – den Autor von ‚Sieben Jahr in Tibet‘.
Entstanden ist eine spannend zu lesende und auch Bezug auf die neuere Geschichte Tibets sehr informative Biografie. Sie rückt „Seine Heiligkeit Drikung Kyabgön Chetsang“, so sein vollständiger Name, menschlich näher und zeichnet zugleich das Bild eines außergewöhnlichen Mannes in einer außergewöhnlichen Zeit des tibetischen Buddhismus.
Elmar R. Gruber
Aus dem Herzen Tibets
Das faszinierende Leben des Drikung Kyabgon Chetsang
Edition Garchen Stiftung, 2023
(textidentischer Nachdruck der Ausgabe aus dem O.W. Barth-Verlag, 2007)
432 Seiten, Paperback
ISBN 978-3-945457-51-1
25,90 €
Im Mandala-Shop sind noch wenige Exemplare der Erstausgabe verfügbar:
432 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
O.W. Barth-Verlag, 2007
ISBN 978-3-502-61162-2
24,90 €
Neue Texte im Mandala Dharma-Shop
Unterweisungen zu:
Die wunderschöne Königin des Raumes
Kurze tägliche Praxis der Achi Chökyi Dölma
von Drubpön Sonam Jorphel Rinpoche, 2010
(mit Ergänzungen von Khenchen Konchog Gyaltshen)
Bearbeitung: Tändsin T. Karuna
DKV, 2023
Artikel-Nr.: 052-103-a5h-de (A5-Broschüre) / 052-103-a5l-de (gelocht)
32 Seiten, mit Abbildungen
5€
„Achi Chökyi Dölma ist die große Dharma-Schützerin der Lehren Buddhas. Sie ist eine Emanation der Vajrayogini, die die Weisheit und Aktivitäten aller Buddhas verkörpert. Sie ist die göttliche Mutter der Buddhas und manifestierte sich aus Mitgefühl mit den leidenden Wesen in der Form der Dakini der fünf Buddha-Familien. Zum Wohle der Wesen in Samsara zeigt sie sich in unendlich vielen Manifestationen zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Dimensionen des Raumes.“
Die Erklärungen beziehen sich auf den Praxistext: ‚Die wunderschöne Königin des Raumes – Kurze tägliche Praxis der Achi Chökyi Dölma‘ (Best-Nr. 052-003) – Der Praxistext ist auch im Sammelband 1: ‚Kurze Meditationen zur regelmäßigen Übung‘ enthalten.
Die Aufzeichnungen (tibetisch „Sindri“)
zu den Shamatha- und Tsa Lung-Belehrungen von Lama Kunsang
„Sindri“ ist ein tibetisches Wort, das ins Deutsche übersetzt „Aufzeichnungen“ oder „Notizen“ bedeutet. Lama Kunsang macht immer wieder deutlich, dass solche Notizen, die von Studierenden während ihrer Ausbildung im Kloster erstellt werden, ein wichtiges Instrument zur gemeinsamen Repetition der Inhalte von Belehrungen sind.
Drei Broschüren mit Lama Kunsangs Belehrungen sind jetzt auch im Mandala Dharma-Shop erhältlich.
Meditation
Aufzeichnungen zu den Shamatha-Belehrungen von Lama Kunsang
Artikel-Nr.: 008-001-a4h-de
66 Seiten, DIN A4 Spiralbindung (Metall)
15€
Die vorliegende Broschüre ist kein zusätzliches Heft zur Meditation, sondern dient dem Ziel, die Meditations-Belehrungen von Lama Kunsang, die er im Zeitraum von Anfang 2021 bis heute mit unermüdlichem Engagement und nie endender Geduld für seine Schülerinnen und Schüler gegeben hat, immer wieder zu studieren, zu kontemplieren und darüber zu meditieren, bis sie Teil von uns geworden sind. Dem liegt die Auffassung des großen tibetischen Yogis Milarepa zugrunde, dass er in jedem Augenblick seines Lebens, egal ob er wach sei oder schlafe, in tiefer Meditation verweile.
Tsa Lung – Teil 1
Aufzeichnungen zu den Tsa Lung-Belehrungen von Lama Kunsang
Artikel-Nr.: 078-101-a4h-de
78 Seiten (mit farbigen Abbildungen)
DIN A4 Spiralbindung (Metall)
15€
Aus dem Vorwort zu Teil 1:
Diese Broschüre umfasst eine Sammlung von Tsa Lung-Belehrungen, die Lama Kunsang vorwiegend im Jahr 2021 für seine Schülerinnen und Schüler gehalten hat.
Tsa Lung üben ist mehr als formal korrekte Körperübungen auszuführen:
Wir sind der Meinung, dass diese Belehrungen kleine «Juwelen» für alle Praktizierenden sind, die ernsthaft und intensiv Tsa Lung üben oder die bereits Tsa Lung-Lehrerinnen und Lehrer sind und selbst Gruppen unterrichten. Jede einzelne der in dieser Broschüre versammelten Instruktionen unseres Yogi-Lamas ist Inspiration und Motivation zugleich – und das ist ungemein wichtig, denn sonst verkommt unsere Tsa Lung-Praxis mit den Monaten und Jahren zur Routine, die keinen Platz mehr für neue Erfahrungen und Gedanken hat. Dieser Selbstgenügsamkeit – hier ist natürlich die negative Selbstgenügsamkeit gemeint, die mit der Trägheit und Dumpfheit nahe verwandt ist – fehlt in der Praxis dann zunehmend das Herz, die Lebendigkeit, die Freude, die Wachheit und auch das Lachen, das wir von Lama-la so gut kennen.
Aufzeichnungen zu den Tsa Lung-Belehrungen von Lama Kunsang
Artikel-Nr.: 078-102-a4h-de
89 Seiten (mit farbigen Abbildungen)
DIN A4 Spiralbindung (Metall)
15€
Teil 2 beinhaltet eine Zusammenstellung von Tsa Lung-Belehrungen, die Lama Kunsang 2022 gehalten hat.
Zusammenstellung Rolf Blume