Ngöndro

Die vorbereitenden (grundlegenden) Übungen des Vajrayana und die Praxis der Zufluchtnahme

Der fünfteilige Mahamudra-Pfad
Um die Erleuchtung zu erlangen, sollten wir einem stufenweisen Pfad folgen und auf einer Stufe anfangen, die unseren Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht. Der tiefgründige fünfteilige Pfad zur Verwirklichung der Mahamudra (tib. Ngaden) ist ein stufenweiser Weg, auf dem man sich kontinuierlich der Erkenntnis der Natur des Geistes nähert. Der tiefgründige Mahamudra-Pfad und die sechs Yogas von Naropa sind die Essenz der Lehren des Buddha. Mit ihnen ist es möglich, in einem einzigen Leben Erleuchtung zu erreichen. Dieser Pfad besteht aus:

  1. den vorbereitenden Übungen (tib. Ngöndro) und der Entwicklung von Bodhicitta,
  2. der Praxis des Deva (tib. Yidam),
  3. dem Guru Yoga der vier Kayas,
  4. Mahamudra, dem großen Siegel,
  5. der Widmung des Verdienstes.

Zuerst muss man vollkommen von den vier Wegen, die den Geist ausrichten, überzeugt sein. Sie werden die vier allgemeinen oder grundlegenden Vorbereitungen (äußeres Ngöndro) genannt und sind in allen buddhistischen Schulen die Grundlage für eine erfolgreiche Praxis.
Anschließend praktiziert man die vier besonderen Vorbereitungen (inneres Ngöndro), um den Geist auszurichten, sich von negativem Karma und den Hindernissen von Körper, Sprache und Geist zu reinigen und um die zwei Arten von Verdienst anzusammeln. Dies ist die Praxis des Mahayana.
Als wichtige Grundlage für die Praxis des Vajrayana führt man die außergewöhnlichen Vorbereitungen (spezielles Ngöndro) zur Entwicklung des Erleuchtungsgeistes (skr. Bodhicitta) durch.

Die Vorbereitenden Übungen (tib. Ngöndro)
Da wir am Anfang noch voller Geistesgifte und störender Gefühle sind, müssen diese zuerst beseitigt werden, bevor wir die höheren Praktiken durchführen können. Dazu dienen die vorbereitenden Übungen. Sie sind die Grundlage aller weiterführenden Übungen des Vajrayana. Es gibt drei Gruppen von vorbereitenden Übungen:

  1. Die allgemeinen vorbereitenden Übungen (äußeres Ngöndro):
    Diese werden deshalb ‚allgemein‘ genannt, weil sie in allen buddhistischen Schulen gelehrt werden, sowohl im Hinayana als auch im Mahayana. Sie umfassen die drei Fahrzeuge (Pratyekabuddhayana, Shravakayana und Bodhisattvayana).
  2. Die besonderen vorbereitenden Übungen (inneres Ngöndro):
    Dies sind keine allgemeinen Übungen, sondern werden nur auf dem Pfad des Mahayana praktiziert.
  3. Die außergewöhnlichen vorbereitenden Übungen (spezielles Ngöndro):
    Sie enthalten das Erzeugen der höchsten Einstellung: die Entwicklung von Bodhicitta.

Diese Vorbereitungen sind der Grundstein.
Sie sind wie ein Fundament für ein Haus:
Wenn wir kein stabiles Fundament haben,
können wir kein Haus bauen.

Der große tibetische Heilige und Mahasiddha des 12. Jahrhunderts, Kyobpa Jigten Sumgön, der zweite Nagarjuna, sagte:

Die Vorbereitenden Übungen sind wichtiger
als die höheren Übungen.

Zuerst soll man diese tiefgründigen Übungen wirklich verstehen und praktizieren, bevor man mit den höheren Lehren (des Vajrayana) beginnt.

Die Allgemeinen Vorbereitenden Übungen
Um den Geist von der Anhaftung an den Daseinskreislauf (skr. Samsara) abzuwenden und auf die Erleuchtung auszurichten, führen wir zuerst die vier allgemeinen vorbereitenden Übungen (äußeres Ngöndro) aus. Diese werden auch als die vier Wege, die den Geist verändern, bezeichnet:

  1. Um dieses Leben mit Bedeutung zu füllen, kontemplieren wir über den kostbaren Menschenkörper.
  2. Um die Anhaftung an weltliche Aktivitäten und an weltliche Dinge abzuschneiden und die Trägheit zu überwinden, kontemplieren wir über die Vergänglichkeit.
  3. Um die Zusammenhänge aller Phänomene zu erkennen, kontemplieren wir über das Gesetz von Ursache und Wirkung (skr. Karma).
  4. Um die Anhaftung an diese Welt aufzugeben und uns vom endlosen Kreislauf des Daseins abzuwenden, kontemplieren wir über das Leiden im Samsara.

Die besonderen vorbereitenden Übungen
Nachdem sich der Geist durch die allgemeinen vorbereitenden Übungen vom leidvollen Daseinskreislauf (Samsara) abgewendet und sich auf die Buddhaschaft ausgerichtet hat, praktizieren wir die besonderen vorbereitenden Übungen (inneres Ngöndro):

  1. Zufluchtnahme: Um in den Pfad einzutreten, nehmen wir Zuflucht und machen Niederwerfungen.
  2. Reinigungspraxis von Vajrasattva: Um uns von negativem Karma zu reinigen, visualisieren wir Vajrasattva (tib. Dorje Sempa) und rezitieren sein Mantra.
  3. Darbringung des kostbaren Mandala: Um die zwei Arten von Verdienst anzusammeln, bringen wir das kostbare Mandala dar.
  4. Guru-Yoga: Um den Segen der Meister (skr. Guru) der Linie zu erhalten, praktizieren wir Guru-Yoga.

Die außergewöhnlichen vorbereitenden Übungen
Nachdem die allgemeinen und die besonderen vorbereitenden Übungen beendet sind, folgt die außergewöhnliche vorbereitende Übung (spezielles Ngöndro) mit der Entwicklung des Erleuchtungsgeistes (skr. Bodhicitta). Dies ist der höchste Teil der Vorbereitungen. Er besteht aus:

  1. der Entwicklung von Liebe;
  2. der Entwicklung von Mitgefühl;
  3. der Entwicklung von Gleichmut;
  4. der Entwicklung von Bodhicitta.

Es wird gesagt:

Bodhicitta ist der einzige und höchste Weg,
um die vollkommene Erleuchtung zu erreichen.

Neben den verschiedenen Meditationen, die für eine gewisse Zeit ausgeführt werden, sind die vorbereitenden Übungen eine Stütze auf allen Stufen des Pfades. (Ein ausführlicher Artikel zum tiefgründigen, fünfteiligen Mahamudra-Pfad und den vorbereitenden Übungen befindet sich auf den Drikung-Webseiten unter: https://drikung.de/der-uebungsweg-des-vajrayana/)

Die Praxis der vorbereitenden Übungen (tib. Ngöndro)
Die vorbereitenden oder grundlegenden Übungen werden in den tibetischen Traditionen als Grundlage für alle weiterführenden Übungen ausgeführt. Auch in westlichen Dharma-Zentren wird immer wieder ihre Wichtigkeit hervorgehoben. Allerdings sind sie im Alltag nicht so leicht durchzuführen, da sie umfassender sind, als es der Name ahnen lässt. Daher gibt es verschiedene Versuche, sie auch in kürzeren Versionen aufzugreifen.

Viele Praktizierende haben mit den Übungen angefangen, sie jedoch nach einiger Zeit abgebrochen oder zur Seite gelegt. In unserem Zentrum möchten wir alle, die diese Übungen durchführen möchten oder schon angefangen haben, unterstützen, ihre Bemühungen weiterzuführen, gemeinsam Fortschritte zu machen und die Übungen immer wieder aufzufrischen.

Nachdem sich die Praktizierenden mit den allgemeinen Vorbereitungen befasst haben, indem sie z.B. Texte oder Kommentare zu den Grundlagen des Mahayana (z.B. „Der kostbare Schmuck der Befreiung“ von Gampopa) ausführlich gelesen haben und sich anhand entsprechender Unterweisungen und Übungen damit vertraut gemacht haben, können sie mit den besonderen vorbereitenden Übungen beginnen. In Seminaren und Retreats werden die Texte und Unterweisungen besprochen, die zur Durchführung der Praxis wichtig sind. Neben der Möglichkeit, gemeinsam zu praktizieren, geht es vor allem darum, die Praxis im täglichen Leben oder kurzen Retreats auszuführen. Dabei können die allgemeinen Vorbereitungen wiederholt und die Übungen durch weitere Erklärungen anderer Inhalte ergänzt werden, um sie je nach persönlichen Möglichkeiten immer weiter zu vertiefen und in unterschiedlichen Situationen anzuwenden.

Weitere Anleitungen enthalten Ratschläge, wie man den Alltag für die Praxis nutzen kann, da sich im Alltag ganz andere Möglichkeiten bieten, den Inhalt der Übungen direkt anzuwenden. In kurzen Retreats kann man die Erfahrung machen, wie man sich mit weniger Ablenkungen auf eine Praxis einlassen kann. Dadurch gewinnt der Geist an Stabilität und Kraft und ist gut auf weiterführende Übungen vorbereitet.

Das Ngöndro-Programm richtet sich an Praktizierende, die mit Grundlagen tibetischer Meditationen vertraut sind und mit diesen grundlegenden, aber tiefgründigen Übungen beginnen wollen. Je nach Kapazität können die Teilnehmenden alle Übungen in einem bestimmten Zeitraum abschließen oder eine individuelle Anzahl jeder Übung ausführen. So werden sie mit allen Übungen ausreichend vertraut, um sie ggf. anschließend weiterzuführen. Für Praktizierende aus vorherigen Gruppen ist es eine Möglichkeit, ihre Übungen weiter fortzusetzen oder aufzufrischen.

Zusammenstellung von Tändsin T. Karuna