„Wenn man den Inhalt oder den Sinn der vom vollkommenen Buddha,
dem Erhabenen, gelehrten Lehren als Praxis zusammenfasst,
dann sind dies die drei Selbstverpflichtungen.“[1]
Die zahlreichen Lehren des Buddha wurden von späteren Meistern immer wieder zusammengefasst. So entstanden viele Texte und Kommentare, in denen die Inhalte durch stufenweise Erklärungen vorgestellt werden und entsprechend nachvollzogen werden können. Um dem Pfad des Buddha zu folgen, nimmt man nach und nach unterschiedliche Regeln und Gelübde auf, die in Verbindung mit entsprechenden Übungen zur Reinigung des Geistes und zur Befreiung aus dem Kreislauf des Leidens (Samsara) beitragen.
Nachdem die Grundlagen für den Eintritt in den Pfad des Buddha erklärt wurden, folgt die eigentliche Zufluchtnahme zu den Drei Juwelen (Buddha, Dharma und Sangha). Die Zufluchtnahme ist die entscheidende Voraussetzung für alle folgenden Übungen, das Aufnehmen von Gelübden und das Erhalten von Einweihungen. Die Zufluchtnahme, Gelübde und Einweihungen können in entsprechenden Ritualen von einem spirituellen Lehrer erhalten werden. Nachdem man die verschiedenen Übertragungen erhalten hat, richtet man sein Verhalten nach den Unterweisungen aus, die in Verbindung mit den Übungen zur Befreiung aus dem Kreislauf des Leidens (Samsara) beitragen und schließlich bis zur Verwirklichung der Buddhaschaft führen. Die Handlungen, die man aufgeben soll, sind entweder Handlungen, die natürlicherweise destruktiv sind oder Handlungen, die der Buddha untersagt hat, um besondere Ziele zu erreichen.
Nach der Zufluchtnahme kann man Erklärungen zu den verschieden Arten von Gelübden erhalten. Diese beschreiben, wie man die Gelübde aufnehmen kann, wie man sie einhält, wann sie übertreten oder gebrochen sind und wie sie wieder hergestellt werden können. Das Aufnehmen und die Anwendung buddhistischer Regeln sowie ihr Nutzen auf dem spirituellen Pfad und im täglichen Leben wird in verschiedenen Kommentaren beschrieben. Zum Erneuern von Gelübden und zum Reinigen von Übertretungen können entsprechende Texte verwendet werden. Dadurch können wir uns immer wieder an ihre Bedeutung erinnern und unsere positiven Handlungen weiter entwickeln.
Man beginnt damit, sich in den fünf allgemeinen Richtlinien zu üben, die mit der Achtsamkeit auf Körper, Sprache und Geist verbunden sind. Laienpraktizierende, die die Zuflucht und verschiedene dieser Gelübde in einem entsprechenden Ritual genommen haben, werden als Upasaka (tib. Genyen) bezeichnet. Die Upasaka-Gelübde gehören zu den Gelübden der persönlichen Befreiung (skr. Pratimoksha) und umfassen die Gelübde für Laien sowie für den Sangha (skr.) der ordinierten Mönche und Nonnen. Die Durchführung des Bekenntnisses wird als Posatha (skr., tib. Sojong) bezeichnet und wird – wie in buddhistischen Klöstern – alle 14 Tage (bei Vollmond und Neumond) durchgeführt.
Darauf aufbauend folgen die Bodhisattva-Gelübde, die in Verbindung mit der Entwicklung des Erleuchtungsgeistes (skr. Bodhicitta) aufgenommen werden. Sie stehen in engem Zusammenhang zu den sechs Vollkommenheiten (skr. Paramitas). Im Mahayana gehört das Nehmen und Einhalten von Gelübden zur Vervollkommnung der ethischen Disziplin, welche zusammen mit den Übungen von Geduld, freudiger Anstrengung usw. als Basis und Stütze auf dem buddhistischen Weg praktiziert wird.
Es gibt zwei Stufen der Entwicklung von Bodhicitta: das anstrebende Bodhicitta und das ausübende Bodhicitta. Das ausübende Bodhicitta beinhaltet das Nehmen der Bodhisattva-Gelübde, die aus Haupt- und Nebengelübden bestehen. Diese Regeln dienen dazu, die Geisteshaltung von Bodhicitta in die Tat umzusetzen, indem entsprechende Handlungen kultiviert bzw. störende Handlungen aufgegeben werden. Um diese Handlungen auszuüben, gibt es ein besonderes Ritual mit einer ausführlichen Übertragung der Gelübde. Durch das Nehmen der Gelübde erhalten wir den Segen und die Unterstützung, diese Handlungen zu kultivieren und Handlungen, die die Entwicklung von Bodhicitta behindern, aufzugeben.
Die Entwicklung von Bodhicitta und die Praxis der sechs Paramitas sind die Grundlagen für die Übungen des Vajrayana, das die Lehren aus Sutras und Tantras umfasst. Zur Ausführung der Vajrayana-Methoden erhält man außerdem eine Einweihung (skr. Abhisheka), die Übertragung zur Rezitation der Texte und Anweisungen zur Praxis. Während der Einweihung werden zunächst in kurzer Form die Gelübde, die mit der Zufluchtnahme verbunden sind, sowie die Bodhisattva-Gelübde gegeben. Bei höheren Einweihungen wird eine längere Übertragung der Bodhisattva-Gelübde durchgeführt.
Mit einer Einweihung werden außerdem die Vajrayana-Samaya (tib. Damtsig) der verschiedenen Tantra-Klassen gegeben. Diese dienen dazu, die Verbindung, die durch die Einweihung entstanden ist, zu erhalten. Durch den Segen der Übertragungslinie können die Verwirklichungen (skr. Siddhis), die mit der jeweiligen Praxis verbunden sind, erlangt werden. Dazu gehören die Verwirklichung der Mahamudra (skr.), die Erkenntnis der Natur des Geistes sowie zahlreiche andere spirituelle Einsichten und Verwirklichungen, die auf verschiedenen Entwicklungsstufen auftreten. Die Methoden des Vajrayana sind sehr tiefgründig und können zur vollkommenen Buddhaschaft führen, indem die Stufen und Ebenen, die mit den Übungen verbunden sind, durchlaufen werden.
Die Pratimoksha-Gelübde und die Bodhisattva-Gelübde sind also nicht nur auf den anfänglichen Stufen oder für die Praxis des Mahayana wichtige Grundlagen, sondern auch Voraussetzungen für das Vajrayana. Die Regeln der drei Arten von Gelübden werden immer subtiler und tiefgründiger und es ist wichtig, mit den grundlegenden Gelübden zu beginnen, alle drei Arten von Gelübden zu üben und Übertretungen durch entsprechende Methoden zu reinigen und die Gelübde ggf. zu erneuern.
Die Bodhisattva-Gelübde werden nur selten in einem eigenen Ritual gegeben und wir freuen uns, dass uns Lama Kunsang im Zusammenhang mit den Erklärungen zur Entwicklung von Bodhicitta und der Praxis der sechs Paramitas die Möglichkeit gibt, diese Gelübde aufzunehmen.
Zusammenstellung von Tändsin T. Karuna
[1] Aus: ‚Die Vajra-Äußerungen Jigten Sumgöns zu den drei Selbstverpflichtungen der drei Fahrzeuge in seiner „Einen Intention“ (tib. Gong Chig), übersetzt von Jan Ulrich Sobisch, DKV Aachen