Mit dem Segen der Übertragungslinie verbinden

Die Guru Puja des Kyobpa Jigten Sumgön

Eine wichtige Methode im tibetischen Buddhismus ist die Praxis des Guru Yoga (tib. Lame Naljor), in der man den Segen der Meister der Übertragungslinie erhält. Es gibt viele verschiedene Texte zur Praxis des Guru, die sich auf große Meister aus der Geschichte des tibetischen Buddhismus – wie z.B. Padmasambhava (Guru Rinpoche), Marpa, Milarepa, Gampopa usw. beziehen.

Die Sadhana (Meditationsanleitung) der Guru Puja (tib. Lama Chöpa) beinhaltet Gebete und Meditationen, die verschiedene Stufen des Pfades umfassen und aus Texten der Sutras und Tantras für die regelmäßige Praxis zusammengestellt wurden. Es gibt dabei kürzere und längere Zusammenstellungen. Die Texte können in tibetischer Sprache oder einer Übersetzung, z.B. deutsch, rezitiert werden.

Für westliche Praktizierende ist es am Anfang schwierig, die Bedeutung dieser Art von Praxis zu verstehen, da wir mit der Übertragung der Lehren und der Rolle eines spirituellen Lehrers nicht so vertraut sind. Bei der Übertragung der Lehre geht es nicht nur um die Worte des Buddha und die Kommentare großer Meister, sondern vor allem um die Verwirklichung dieser Lehren, die von Buddha durch seine Schüler über Generationen hin bis in die heutige Zeit in ununterbrochenen Übertragungslinien erhalten und weitergegeben wurden. Diese Weitergabe bezieht sich neben der Übertragung der Zuflucht­nahme und der verschiedenen Gelübde zur persönlichen Befreiung (skr. Pratimoksha) insbesondere auf die Übertragungen des Vajrayana (Einweihung, Text-Erlaubnis und Anweisungen zur Praxis). Durch die Guru Puja stützen wir uns auf diese Verwirklichung und stellen uns vor, wie wir durch den spirituellen Meister, von dem wir verschiedene Übertragungen und Unterweisungen erhalten haben, mit dem Strom dieser Verwirklichung verbunden sind und den Segen von Körper, Sprache, Geist, Aktivitäten und Qualitäten erhalten. Durch die regelmäßige Praxis der Visualisierung und Mantra-Rezitation entsteht eine Verbindung, durch die unsere Praxis stabiler wird.

In Bezug auf die Rolle eines spirituellen Lehrers und insbesondere eines Vajra-Meisters, der die für die Praxis notwendigen Übertragungen des Vajrayana mit den notwendigen Erklärungen geben kann, geht es vor allem darum, dass wir uns der Qualitäten eines solchen Lehrers bewusstwerden. Um insbesondere höhere Methoden des Vajrayana praktizieren zu können, benötigen wir entsprechende Übertragungen und Anleitungen, damit die Praxis richtig ausgeführt und zu den gewünschten Ergebnissen führen kann. Es ist nicht so einfach, die Bedeutung der Texte, Darstellungen und Rituale und der dahinterliegenden Sichtweise zu verstehen, insbesondere, wenn es um sogenannte ‚höhere‘ Methoden geht, für die man ein gutes Verständnis braucht. Daher sind wir auf die Unterstützung durch einen qualifizierten Lehrer und die Vajra-Meister angewiesen. Ansonsten folgen wir schnell den Anweisungen unseres Ego, das uns in eine entgegengesetzte Richtung führen will.

Wir brauchen zunächst ein gutes Verständnis der Grundlagen und der Sichtweise, mit der diese Methoden verbunden sind. Dazu können wir auch vieles durch das Studium von Texten und Kommentaren lernen. Je weiter wir in der Praxis Fortschritte machen, umso wichtiger ist es, von qualifizierten Lehrern und Meistern unterstützt zu werden, um die Methoden zu verstehen und richtig anzuwenden. Neben den allgemeinen Erklärungen gibt es auch Anweisungen zur persönlichen Praxis und tiefgründige Erklärungen auf fortgeschrittenen Stufen der Praxis. So entwickeln wir mehr und mehr Wertschätzung für die kostbaren Lehren und ihre Überlieferung, aber auch mehr Zuversicht in die eigenen Fähigkeiten, sodass wir uns mit Vertrauen und Hingabe unseren Aufgaben widmen können.

Die Guru Puja des Kyobpa Jigten Sumgön
Die Sadhana dieser Praxis wird in den Drikung Kagyü Klöstern morgens gemeinsam rezitiert. In unserem Zentrum wird diese Praxis häufig an besonderen Tagen (z.B. den Jahrestagen der Gründer der Linie), an Praxistagen sowie bei Retreats und Wochenendseminaren durchgeführt. Die verwendeten Texte entsprechen der Überlieferung, wie sie auch in den Drikung-Klöstern in Tibet und Indien bekannt ist.

Für Praktizierende des Vajrayana ist die Guru Puja eine wichtige Methode, um die Samayas[1] zu halten und Verwirklichungen zu erlangen. Praktizierende, die eine höhere Einweihung, insbesondere eine Übertragung von Chakrasamvara (tib. Khorlo Demchog) usw., erhalten haben, sollten daher regelmäßig die Guru Puja ausführen.

Die Guru Puja des Kyobpa Jigten Sumgön bezieht sich auf den Gründer der Drikung Kagyü Tradition. Kyobpa Jigten Sumgön war ein vollkommen erleuchteter Meister und rief vor mehr als 800 Jahren diese Linie ins Leben. Wenn wir die Meditation mit Vertrauen und Hingabe ausführen, werden die geistigen Verschleierungen, die durch unheilsame Handlungen von Körper, Sprache und Geist angesammelt wurden, gereinigt und wir legen die Ursachen zur Erlangung der Buddhaschaft.

Kyobpa Jigten Sumgön (1143-1217) war der Herzenssohn von Phagmodrupa und ist weithin als eine Inkarnation von Nagarjuna anerkannt. Zu seinen berühmtesten Schriften zählen: ‚Die eine Intention‘ bzw. ‚Das einzige Ansinnen‘ (tib. Gongchig) und ‚Herzessenz der Mahayana-Lehren‘ (tib. Thegchen Tenpe Nyingpo). Jigten Sumgöns Werke sind in einem äußeren Khabum (fünf Bände) und einem inneren Khabum (vier Bände, die sehr geheim waren) enthalten. Wenn man einige seiner Schriften kennt, entwickelt sich auch darüber eine Verbindung, die zur Vertiefung der Praxis des Guru Yoga beiträgt.

Außerdem gibt es zahlreiche inspirierende Gebete im Zusammenhang mit Jigten Sumgön, die von seinen Schülern verfasst wurden. In „Bedeutungsvolle Betrachtung“ von Chenga Sherab Jungne, die die Lebensgeschichte von Jigten Sumgön enthält, heißt es z.B.:

Da er immer sagte: „Wer Hingabe hat, auch wenn er weit entfernt,
sogar in Indien oder China ist, wird nie von mir getrennt sein.“
wird man also sicherlich, wenn man die Verbindung aufrechterhält,
sofort nach dem Tod
im Buddha-Land Sukhavati (tib. Dewachen) geboren werden.

 

Der kostbare, erhabene, spirituelle Meister sagte weiterhin:

„Generell, wer meinen Namen hört,
wird aus den drei niederen Bereichen befreit.
Besonders diejenigen, die mich von Angesicht zu Angesicht sehen
und meine Lehren hören, werden befreit.
Wer in Drikung Thil stirbt,
wird nicht in den drei niederen Bereichen geboren.“
Zuversichtlich gab er dieses große Versprechen.

 

In dem kostbaren Kommentar ‚Der glorreiche König, der im Raum schwebt’ heißt es:

Oh Sangha, höre auf diese Worte.
Wenn ihr Vertrauen habt, warum solltet ihr Samadhi nicht erreichen?
Wenn ich euch täusche, werde ich selbst zu Schaden kommen. […]

[Der Erhabene Jigten Sumgön sagte:]
„Es liegt in der Natur von Tugend und
Untugend, dass sie nicht austauschbar sind.“
Der edle große Acharya (Nagarjuna) sagte: „Wenn man mit Anhaftung,
Abneigung und Ignoranz handelt, ist das Untugend.“
Das zeigt, dass sie in gleicher Weise denken.

Obwohl diese Worte leicht auszusprechen sind,
ist ihre Bedeutung schwer zu verstehen.
Diese (Tugend und Untugend) sind die Wurzel von Samsara und Nirvana.
Sie bilden die Trennlinie zwischen dem, was angenommen
und dem, was aufgegeben werden muss.

Das ist der Punkt, der Gelehrte durcheinanderbringt.
Das ist der Punkt, an dem Fehler und gute Qualitäten verborgen sind.
Das ist der Punkt, an dem die Intelligenten verwirrt sind.
Das ist der Punkt, an dem Kämpfer stolpern.
Es gibt viele Arten, dies zu erklären.

Wenn jemand die tiefere Bedeutung dieser Lehre nicht versteht,
ganz gleich wie sehr er die 84.000 Sammlungen der Lehre praktiziert,
wird er am Tage gehen, als wäre es Nacht.
Es wäre dann so, als würde jemand,
ohne zu verstehen, wer gegen wen kämpft,
sagen: „Ich werfe auch einen Stein.“

Zum Beispiel möchte jemand in den Osten reisen,
wenn er sich [aber] nach Westen wendet, wird er niemals dort ankommen.
Je weiter er reist, umso weiter wird er sich entfernen.

Deswegen: Wenn jemand nicht weiß, wie man praktizieren muss,
wird er sich am Rande eines großen, unsichtbaren Abgrunds befinden,
obwohl er damit prahlt, dass er den heiligen Dharma praktiziert.
Deswegen ist es wichtig,
das Tor zum unmissverständlichen Pfad zu wählen und zu hüten. […]

Dieser erhabene Herr sorgt sich nicht darum, verehrt zu werden.
Seine [Weisheit] umfasst die [Weisheit] aller Buddhas
und sein [Verständnis] umfasst den Geist aller fühlenden Wesen.
Er manifestiert sich in Samsara und Nirvana.
Er ist nicht durch Bedingungen beeinflusst.
Er ist der universale Vajra-König,
der sich in unzähligen Formen manifestiert. […]

Deshalb gilt für alle von uns:
Wenn es keine Hindernisse
für unsere Hingabe zum spirituellen Meister gibt,
ist es sicher, dass wir augenblicklich nach unserem Tod
zu Füßen des kostbaren, erhabenen Herrn der Wesen erscheinen,
ohne in den Zwischenzustand (tib. Bardo) einzutreten. […]

Dieser Artikel wurde von Tändsin T. Karuna aus folgenden Beiträgen zusammengestellt, die im Internet zu finden sind:

Weitere Informationen:

Programmhinweise für die Praxis der Guru Puja

Bei Seminaren mit buddhistischen Lehrern führen wir im Allgemeinen morgens von 7.30 – 8.30 Uhr die Guru Puja des Jigten Sumgön durch. Es ist dann im Seminarprogramm angegeben. Aktuell ist dies bei Besuchen der folgenden Lehrer der Fall:

Aber auch bei Praxistagen und mehrtägigen Retreats nutzen wir die Zeit morgens für die Guru Puja.
Das wird z.B. beim 5 Tage Ngöndro-Retreat im Mai so sein.

In Zusammenhang mit dem Ngöndro-Retreat bieten wir auch ein 7 Tage Morgen-Retreat an. Ab dem 6. Mai führen wir für eine Woche morgens die Guru Puja für eine Stunde durch. Dabei beginnen wir die ersten drei Tage morgen um 6.30 Uhr und ab dem 9. Mai (Feiertag Himmelfahrt) bis zum 12. Mai um 7.30 Uhr.

Zudem bieten sich bestimmte buddhistische Feiertage für eine Jigten Sumgön Ganapuja an. Innerhalb der Guru Puja werden dann nach der Mantra-Rezitation Gaben dargebracht, gesegnet und gemeinsam verzehrt. Nach dem tibetischen Kalender ist der Jahrestag von Kyobpa Jigten Sumgön der 25. Tag des 4. Monats. Dies ist meist im Mai oder Juni des westlichen Kalenders. Daher feiern wir den Jahrestag in diesem Jahr am Freitag, 7. Juni um 17.30 Uhr.

Zu den aufgeführten Veranstaltungen ist jeder herzlich willkommen.

[1] Samaya (skr., tib. Damtsig): wörtlich: ‚Band‘ oder ‚Verbindung‘; ein Versprechen (Gelöbnis) zwischen Schüler und Lehrer in Bezug auf die Lehren der Vajrayana-Praxis. Die Verbindung entsteht durch die Ermächtigungen (skr. Abhisheka) des Vajrayana und wird durch das Einhalten entsprechender Regeln aufrechterhalten.