S.E. Chöje Ayang Rinpoche – Ein kurzer Nachruf

       

Das beängstigendste Ereignis im Leben ist der Tod, und der Tod kommt zu uns allen, ohne Rücksicht auf Reichtum, Schönheit, Intelligenz oder Ruhm. Die buddhistische Lehre besagt, dass der Tod zwar unvermeidlich ist, dass es aber in unserer Hand liegt, wie wir sterben – verängstigt und verwirrt oder mit Zuversicht und spiritueller Meisterschaft.

Einen großen Teil seiner Lebenszeit hat S.E. Ayang Rinpoche damit verbracht, seine Schülerinnen und Schüler zu dieser Zuversicht zu bringen und den Weg zur spirituellen Meisterschaft aufzuzeigen. Kein leichtes Unterfangen in den westlichen Ländern, in denen der Dharma zu Beginn seiner Reisen Anfang der achtziger Jahre kaum bekannt war.

Als Meister des Phowa war er schon sehr viel früher nicht nur in den tibetischen Siedlungen in Südindien bekannt, wo er auch das erste tibetische Dri­kung-Kloster im Exil aufbaute. In den Siedlungen starben viele Tibeter durch Krankheiten, die es in Tibet nicht gab, oder durch die ungewohnten klimatischen Verhältnisse, auf die sich die Hochlandbewohner nicht gut einstellen konnten. Auch Rinpoche selbst erkrankte an Tuberkulose, wodurch seine Lunge nachhaltig geschädigt wurde. Um nicht unvorbereitet in den Tod gehen zu müssen, lehrte Ayang Rinpoche den Tibetern in den Siedlungen das Phowa, das – außer zu besonderen Anlässen – sonst nur an fortgeschrittene Praktizierende weitergegeben wurde, die zumindest die vorbereitenden Übungen abgeschlossen hatten.

1982 bat ihn sein Wurzel-Lama, S.H., der 16. Karmapa, in den Westen zu reisen, um auch dort das Phowa zu lehren. Rinpoche war mit ungefähr 40 Jahren noch recht jung und konnte sowohl durch die Lehren als auch durch seine Persönlichkeit insbesondere junge Leute aus alternativen Kreisen begeistern. Es entstanden in verschiedenen Ländern Dharma-Zentren unter seiner Führung. Zu den ersten Zentren zählten in Deutschland Drikung Ngaden Chöling in Medelon und unser Zentrum in Aachen, um dessen Eröffnung Ani Elke ihn damals bat.

Rinpoche kam in den letzten 42 Jahren immer wieder nach Deutschland und gab verschiedene Übertragungen und Unterweisungen zu Vajrasattva, Buddha Amitabha, Guru Dragpo usw. Zwei Phowa-Kurse (1987 und 2007) durften wir in Aachen mit ihm durchführen. Ein besonderes Ereignis war 1999 die Einweihung des neuen Zentrumshauses in der Oppenhoffallee, bei dem „zufällig“ auch die Gruppe von Drikung-Mönchen der ersten „World Peace Tour“ gerade bei uns zu Besuch war. Aus diesem glückverheißenden Zusammentreffen ist auch die CD „The Sound of Dharma“ entstanden, auf der die einzigartige Stimme Rinpoches und sein hingebungsvoller Gesang verewigt sind.

Rinpoche war bezüglich der Vermittlung des Dharma sehr traditionell und konstant. Mitunter hatten z.B. nach der Teilnahme an mehreren Phowa-Kursen bestimmte Formulierungen aus den Unterweisungen feste Eindrücke im eigenen Geist hinterlassen. Zudem erreichte Rinpoche durch seine bewusst einfache Sprache sowohl im Tibetischen als auch im Englischen die Zuhörer direkt im Herzen, wie es ein Praktizierender einmal treffend formulierte. Dies war Rinpoche ein großes Anliegen, damit jede und jeder die Lehren verstehen und praktizieren kann.

Genaues Zuhören war aber dennoch gefordert. Die Aussage: „as I already mentioned” ist sicher allen Zuhörern noch im Ohr. Rinpoche gab nicht nur viel, er forderte auch etwas von seinen Schülerinnen und Schülern. Er konnte ein strenger und unbequemer Lehrer sein, der einige auch an ihre Grenzen brachte, um ihnen Möglichkeiten der Entwicklung zu bieten und selbstbezogene Gewohnheiten wahrzunehmen und im besten Falle abzulegen. Mit keinem anderen Lehrer konnte ich so intensive Auseinandersetzungen führen wie mit ihm. Dafür brauchte er gar nicht persönlich anwesend zu sein. Es gab aber auch genügend Begebenheiten, wo wir Tränen gelacht haben.

Rinpoche wurde in Kham, Osttibet, geboren und die Khampas sind für ihre Willensstärke und ihr gesundes Selbstbewusstsein bekannt. Eine Qualität, die ich sehr an ihm geschätzt habe, war, dass er sich durch gute Argumente von einer Sache überzeugen ließ und nicht auf der eigenen Ansicht beharrte.

Was uns weiterhin im Ohr und Herz bleiben sollte, ist die Entwicklung einer „reinen Motivation“, auf die Rinpoche nie müde wurde, bei jeder Einweihung oder Unterweisung hinzuweisen. Es liegt an uns, diese Einstellung sowie das viele andere von unschätzbarem Wert, das wir von ihm erhalten haben, umzusetzen – zum eigenen Wohl, zum Wohl aller Wesen und auch zum Wohl Rinpoches, um die Samayas (Verbindungen) zu halten.

Möge Rinpoche zum Wohl der Wesen bald wieder in dieser Welt erscheinen und mögen wir das Glück haben, unseren Dharma-Weg mit seiner Unterstützung bis zur vollkommenen Erleuchtung weiterzugehen.

Christian Licht

s/w-Bilder von Piet Bernhard, Farbbilder aus dem Zentrumsarchiv

 

Detaillierte Informationen zum Lebenslauf und den Projekten von S.E. Ayang Rinpoche finden sich auf folgenden Internetseiten: