Irmgard Kirchner und Santacitta Bhikkhuni
Fang einfach an!
Wie mir meine Freundin den Buddhismus erklärt
Mit einem Vorwort von Jetsunma Tenzin Palmo
edition steinrich, Berlin 2024
192 Seiten, Hardcover, 12 x 19 cm
ISBN 978-3-942085-83-0
19,90 €
Anfangen – Weitermachen – Tiefergehen!
„Fang einfach an!“, lautet der pragmatisch-optimistische Titel des frisch erschienenen Buches von Irmgard Kirchner und Santacitta Bhikkhuni.
Einfach angefangen hat die buddhistische Nonne Santacitta Bhikkhuni, die 1958 als Sylvia Helga Bayer in Bruck an der Mur in Österreich „als das erste Kind der Wirtsleute vom Hotel Restaurant Bayer am Hauptplatz der Kleinstadt“ geboren wurde. Dieser Anfang hat sich zu einer ganzen Lebensgeschichte hin zum Buddhismus und dann mit dem Buddhismus entfaltet.
Auch wenn wir einfach anfangen, wir fangen nicht bei Null an. Bevor wir loslegen, sind wir schon in Geschichten eingebunden (die eigene Geschichte, die Geschichte unserer Familie, die Geschichte unserer Kultur …), die wie geistige Kraftfelder – oft genug hinterrücks – auf uns einwirken: „Nein, wir stehen nicht als unbeschriebene Blätter gleich an der Startlinie. […] Bis ich meinen Weg gefunden habe, hat es seine Zeit gebraucht, allerdings habe ich nicht gleich aufgegeben, wenn es nicht so gelaufen ist, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich habe immer gewusst, dass ich einmal das für mich Passende finden würde. Woher dieses Vertrauen kommt, weiß ich nicht.“ (S. 68f)
Aber es war eben da, „dieses Vertrauen“, und es hat Sylvia Bayer / Santacitta Bhikkhuni begleitet und geleitet. Spannend ist schon das erste Kapitel „Weit geöffnete Türen“, in dem sie von ihrer Jugend und ihren ersten buddhistischen Schritten erzählt.
„Die buddhistische Praxis ist kein linearer Prozess. Da gibt es diesen schönen Spruch: Der kürzeste Pfad ist keine gerade Linie. Wenn du dranbleibst, wenn du verstehst, dass es nicht in deiner Kontrolle liegt, wie der Prozess verläuft, wird sich aus dem anfänglichen Kampf Hingabe herauskristallisieren. Kontrolle hast du darüber, ob du dich bemühst, weise Prioritäten zu setzen und zu leben.“ (S.41)
Sylvia Bayers eigener nicht-linearer Prozess hat sie nach Studium der Völkerkunde (heute heißt das Fach Kultur- und Sozialanthropologie) und der Arbeit als Kostümbildnerin am Theater 1986 nach Thailand geführt, wo sie zum ersten Mal mit dem Buddhismus in Kontakt kommt. Für ihre Doktorarbeit in Kultur- und Sozialanthropologie betreibt sie zudem Feldforschung und lebt ein Jahr mit einer Familie muslimischer Fischer auf einer kleinen Insel im Süden Thailands und verliebt sich prompt in den ältesten Sohn der Fischerfamilie.
„Lange Zeit hatte ich die romantische Vorstellung, dass Menschen, die einfach und außerhalb der westlichen Konsumkultur leben, automatisch weise sind.“ (S.17f)
Diese Idealisierung wird enttäuscht: „Ja. Und es hat sich mir kristallklar gezeigt, dass das überhaupt nicht stimmt. Ich bin dahintergekommen, dass mein Geliebter drogenabhängig ist. Er hat versucht, seine Sucht vor mir zu verstecken. Da bin ich aufgewacht. Mir ist klargeworden, dass diese Menschen auch dieselben Entwicklungsstadien durchgehen wollen wie wir in den reichen westlichen Ländern. Sie sind noch nicht ernüchtert, was Konsum und sogenannten Fortschritt betrifft. Das ist ein spätes Stadium in einem Entwicklungsprozess, und diese Einsicht hat meine Projektionen zu einem gewissen Grad entzaubert.“ (S.18)
Die Sehnsucht, irgendwie „an ein Weisheitssystem an[zu]docken“ (S.19), bleibt dennoch lebendig. 1988 kommt Sylvia Bayer ‚per Zufall‘ zum ersten Mal in das Kloster Suan Mokkh von Ajahn Buddhadasa, einem der einflussreichsten buddhistischen Theravada-Mönche des 20. Jahrhunderts, und lernt dort, ernsthaft zu meditieren.
„Dein Weg zum Buddhismus hört sich an wie eine Abenteuergeschichte“ (S.34), kommentiert ihre Freundin Irmgard Kirchner zwischendurch. Und in der Tat, etwas Abenteuerliches hat dieses Zusammenspiel aus Sehnsüchten, Zufällen, exotischen Reisen, Liebschaften, Katastrophen, Ernüchterungen und dann wieder hilfreichen Fügungen. Etwas weniger romantisch betrachtet, bedeutete das ‚Abenteuer‘ aber auch eine tiefe und keineswegs schmerzlose Wandlung. „Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke, bin ich damals durch einen tiefen inneren Umstrukturierungsprozess gegangen. Meine wirklichen Prioritäten wurden mir immer mehr bewusst und ich wusste, dass ich mein Leben danach ausrichten muss.“ (S.27)
1998 wird Sylvia Bayer ordiniert. 2022 gründet sie „in San Rafael, etwa dreißig Kilometer nördlich von San Francisco, Aloka Earth Room, einen zeitgenössischen Tempelraum, in dem buddhistische Lehre, Ökologie und Kunst miteinander verwoben werden.“ (S.177)
Zwischen dem ‚einfachen Anfangen‘ von Sylvia Bayer in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts und den gegenwärtigen Aktivitäten von Santacitta Bhikkuni liegt viel gelebter und verstandener Buddhismus.
Das macht das Besondere dieses Buches aus: „Niemals“, so schreibt Irmgard Kirchner, die Santacitta Bhikkuni von Jugend auf kennt und die Interviewfragen stellt, „hätte ich als Privatperson oder als Journalistin einer anderen buddhistischen Lehrerin oder einem Lehrer solche Fragen stellen können. Und niemand anderem als mir hätte Santacitta Bhikkuni diese Fragen auf diese Weise beantwortet.“ (S.12) Aus den Gesprächen ist ein Buch entstanden, das nicht nur, wie der Untertitel („Wie mir meine Freundin den Buddhismus erklärt“) nahelegt, Einblicke in die buddhistische Lehre vermittelt, sondern auch darin, was die Begegnung mit dem Buddhismus seelisch, sozial, kulturell in unserer Zeit bedeuten kann.
Es ist heute viel von „säkularem Buddhismus“ die Rede. Das Buch von Irmgard Kirchner und Santacitta Bhikkhuni zeichnet einen Weg des Buddhismus in einem modernen säkularen und sehr nüchternen Bewusstsein nach, der dennoch nicht zu einem „säkularen Buddhismus“ führt.
Rolf Blume
Das Buch ist im Mandala Dharma-Shop vor Ort sowie über den Online-Shop erhältlich.