Shravasti-Meditation: Die fünf am häufigsten gestellten Fragen

Seine Heiligkeit Drikung Kyabgön Chetsang gab (im September 2020 auf einem dreitägigen Shravasti-Retreat in Taiwan) Antworten auf die fünf am häufigsten gestellten Fragen zur Shravasti-Meditation.

1. Warum brauchen wir Shravasti-Meditation?
Von den drei Methoden zur Erlangung von Weisheit (d.h. Hören, Kontemplieren und Meditieren), die der Buddha empfahl, fehlt uns die Meditation am meisten. Viele Menschen widmen ihr ganzes Leben dem Studium des Buddhismus, versäumen es aber, zu praktizieren, was der Buddha lehrte. Es gibt viele Zugänge zur Meditation. Zum Beispiel die allgemeinen und die besonderen Vorbereitenden Übungen. Auch während des traditionellen 3-Jahres-Retreats werden verschiedene Ansätze gelehrt. Die meisten Menschen konzentrieren sich jedoch hauptsächlich darauf, die geforderten Zahlen zu erreichen und vernachlässigen dabei das Wesentliche dieser Praktiken: Unseren Geist unabgelenkt zu halten.

Viele von euch haben wahrscheinlich Belehrungen über Dzogchen oder Mahamudra besucht. Seid ihr jedoch in der Lage, 10 Minuten mit eins-gerichtetem Geist zu meditieren? Wie sieht es mit 5 Minuten aus? Meditation ist nicht einfach. Ihr solltet mit dem Ruhigen Verweilen beginnen, um euren Geist zu stabilisieren. Ihr kommt also nicht zu diesem Retreat, um Belehrungen zu erhalten, sondern um euch auf die Meditationspraxis einzulassen und eure Fähigkeit zu verbessern, den eigenen Geist zu stabilisieren.

Die Shravasti-Meditation ist ein integrierter Meditationsansatz. Sie basiert auf der Anapanasati Sutra (der Achtsamkeit auf die Atmung), das direkt vom Buddha gelehrt wurde. Wir sollten direkt zur Quelle gehen und die Worte des Buddha studieren. Alle Linien des tibetischen Buddhismus bevorzugen jedoch den Tengyur, die Kommentare und Abhandlungen, gegenüber den Lehren, die der Buddha direkt dargelegt hat.

2. Warum wird dieser Ansatz Shravasti-Meditation genannt?
Erstens wurde das Anapanasati Sutra in Shravsati in Indien gelehrt. Unsere Texte wurden direkt aus den Pali-Texten übersetzt. Auch in der Vinaya-Abteilung des Kangyur, der die frühesten Lehren des Buddha enthält, werden Ansätze der Shravasti-Meditation erwähnt. Zweitens lehre ich im Winter das Dhammapada in Shravasti, Indien. Dort werden auch die Meditationsretreats abgehalten.

3. Ist Shravasti-Meditation dasselbe wie Goenkas Vipassana?
Viele Menschen denken, dass die Shravasti-Meditation und Goenkas Vipassana das Gleiche sind. Ich habe zwar nicht persönlich an Goenkas Retreats teilgenommen, aber einige Khenpos und westliche Schüler haben welche besucht. Ich fragte sie ausführlich nach ihren Erfahrungen und erfuhr, dass Goenkas Vipassana sich hauptsächlich auf die Achtsamkeit der Gefühle konzentriert. Das Anapanasati-Sutra hingegen enthält Übungen zu allen vier Grundlagen der Achtsamkeit (d.h. Körper, Gefühl, Geist und Phänomene). Jede besteht aus vier Übungen, die den vier Ebenen der Meditation entsprechen.

4. Welches sind die Vorzüge der Shravasti-Meditation?
Das Anapanasati Sutra erklärt ausdrücklich die Vorzüge der von ihm empfohlenen Methoden: „Bhikkhus, die Methode, den Atem vollkommen bewusst wahrzunehmen, wird, wenn sie beständig entfaltet und geübt wird, reiche Früchte tragen und großen Nutzen bringen. Sie wird zum Erfolg in der Übung der Vier Grundlagen der Achtsamkeit führen. Wird die Methode der Vier Grundlagen der Achtsamkeit beständig entfaltet und geübt, so führt sie zum Erfolg in der Übung der Sieben Faktoren des Erwachens. Die Sieben Faktoren des Erwachens rufen, wenn sie beständig entwickelt und geübt werden, Verstehen und Befreiung des Geistes hervor.“ (Übersetzung aus „Das Wunder des bewussten Atmens“, S.14)
Außerdem heißt es in den Siebenunddreißig Zweigen der Erleuchtung, dass diese Methoden Wege zur Befreiung sind.

5. Ist die Shravasti-Meditation ein Theravada-Ansatz?
Gelehrte unterscheiden gerne zwischen „das ist ein Theravada-Ansatz“ und „das ist ein Mahayana-Ansatz“. Als Praktizierende sollten wir jedoch nicht so denken. Das Mahavaipulya Mahasamghata Sutra, ein Mahayana Sutra aus dem Kangyur, enthält viele Erklärungen, wie man die Achtsamkeit des Atems übt. Es stellt auch klar, dass diese Ansätze sowohl in der Theravada- als auch in der Mahayana-Tradition zu finden sind. Tatsächlich sind sie auch Teil der Praxis des Vajrayana.

Die Vajrayana-Tradition hat viele Belehrungen über die Praxis der Winde, der Chakren und Kanäle. Wenn zum Beispiel Wut aufkommt, konzentriert sich der Wind im rechten Kanal; wenn Begehren aufkommt, konzentriert sich der Wind im linken Kanal; und wenn gewöhnliche Menschen sich im Zustand der Unwissenheit befinden, konzentriert sich der Wind im mittleren Kanal.

Jeder Atemzug dauert etwa 4 Sekunden. Alle 24 Stunden atmen wir etwa 21600 Mal. Bei den meisten dieser Atemzüge atmen wir karmischen Wind mit den Gedanken ein. Alle 32 Atemzüge atmen wir Weisheitswind ein, der direkt in den Zentralkanal geht. Der Zweck der Mediation ist es, den karmischen Wind in Weisheitswind umzuwandeln und Weisheitswind in den Zentralkanal fließen zu lassen. Auf diese Weise wird der Geist aufhören, sich zu beunruhigen und zu leiden. So wird die Befreiung erlangt.

Phagmodrupa fragte Gampopa einmal: „Warum sind wir in Samsara?“ Gampopa antwortete: „Weil unser Wind nicht in den zentralen Kanal geht.“ Das Anapanasati Sutra ist wie ein Schlüssel im Samsara, der den zentralen Kanal, der zur Befreiung führt, öffnet. Es ist ein Schlüsselansatz, der von allen drei Traditionen (d.h. Theravada, Mahayana und Vajrayana) geteilt wird.

Deutsche Übersetzung: deepl; bearbeitet von Rolf Blume

(Englischer Originaltext als PDF im Internet unter:
https://ratnashri.se/ShravastiMeditation.pdf